Zelot
sogar zu seinen Anhängern.
Im Gegensatz dazu werden die wenigen Zusammentreffen Jesu mit dem Priesteradel und seinen Repräsentanten, der gelehrten Elite der Rechtswissenschaftler (den Schriftgelehrten), von den Evangelien immer im feindlichsten Licht geschildert. Wen sonst meinte Jesus, als er sagte: «Ihr aber habt daraus [aus dem Tempel] eine Räuberhöhle gemacht.» Es waren nicht die Händler und die Geldwechsler, gegen die er auf dem Tempelvorplatz wütete. Es waren jene, die am stärksten vom Handel im Tempel profitierten, und das auf Kosten armer Galiläer, wie er selbst einer war.
Wie seine eifernden Vorgänger regte sich Jesus nicht so sehr über das heidnische Reich auf, das Palästina besetzt hielt, sondern viel mehr über den jüdischen Blender, der Gottes Tempel okkupierte. Beide nahmen Jesus später als Bedrohung wahr, und beide wollten seinen Tod. Aber es kann kein Zweifel bestehen, dass Jesu größte Gegenspieler in den Evangelien nicht der ferne Kaiser in Rom und auch nicht dessen heidnische Beamte in Judäa sind. Es ist der Hohepriester Kajaphas, der zum wichtigsten Anstifter bei der Intrige zur Hinrichtung Jesu wird, gerade weil dieser die Autorität des Tempels bedroht (Mk 14 , 1 – 2 ; Mt 26 , 57 – 66 ; Joh 11 , 49 – 50 ).
Im Laufe der Zeit weitete sich Jesu Wirken aus, wurde drängender und streitbarer, und seine Worte und Taten spiegelten immer deutlicher eine tiefe Feindschaft gegenüber dem Hohepriester und dem judäischen religiösen Establishment wider: «Nehmt euch in Acht vor den Schriftgelehrten! Sie gehen gern in langen Gewändern umher, lieben es, wenn man sie auf den Straßen und Plätzen grüßt, und sie wollen in der Synagoge die vordersten Sitze und bei jedem Festmahl die Ehrenplätze haben. Sie bringen die Witwen um ihre Häuser und verrichten in ihrer Scheinheiligkeit lange Gebete. Aber um so härter wird das Urteil sein, das sie erwartet.» (Mk 12 , 38 – 40 ) Vor allem Jesu Gleichnisse waren gespickt mit eben den antiklerikalen Gefühlen, die die Politik wie auch die Frömmigkeit in Galiläa prägten und die zum Markenzeichen seines Wirkens werden sollten. Nehmen wir das berühmte Gleichnis vom guten Samariter:
«Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halb tot liegen. Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging weiter. Auch ein Levit [ebenfalls ein Priester] kam zu der Stelle; er sah ihn und ging weiter. Dann kam ein Mann aus Samarien, der auf der Reise war. Als er ihn sah, hatte er Mitleid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. Am andern Morgen holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.» (Lk 10 , 30 – 35 )
Christen haben aus diesem Gleichnis lange herausgelesen, wie wichtig es doch sei, Menschen in Not zu helfen. Doch für die Zuhörer, die zu Jesu Füßen saßen, hatte das Gleichnis weniger mit der Güte des Samariters zu tun als mit der Falschheit der beiden Priester.
In den Augen der Juden waren die Samariter die niedrigsten, unreinsten Menschen in Palästina – und dafür gab es vor allem einen Grund: Die Samariter lehnten den Vorrang des Tempels von Jerusalem als einziger legitimer Ort der Gottesanbetung ab. Stattdessen verehrten sie den Gott Israels in ihrem eigenen Tempel auf dem Berg Garizim am Westufer des Jordan. Für jene unter Jesu Zuhörern, die sich selbst in dem geschlagenen, halbtoten Mann wiedererkannten, den man zum Sterben an der Straße liegengelassen hatte, lag die Lektion des Gleichnisses auf der Hand: Der Samariter, der die Autorität des Tempels nicht anerkennt, tut alles, um das Gebot des Herrn, «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst», zu erfüllen (das Gleichnis selbst sollte die Frage «Wer ist mein Nächster?» beantworten). Die Priester, die ihren Reichtum und ihre Macht aus ihrer Verbindung zum Tempel ziehen, ignorieren das Gebot völlig, aus Angst, ihre rituelle Reinheit zu besudeln und damit eben jene Verbindung zu gefährden.
Die Menschen in Kafarnaum nahmen diese dreist antiklerikale Botschaft gierig auf. Fast sofort sammelten sich große Menschenmengen um Jesus. Einige erkannten ihn als den Jungen, der in Nazaret in eine Familie von
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