Zelot
gestiegen, und mit ihr der Lebensstandard jener Bauern und Fischer, die die finanziellen Mittel besaßen, mehr kultivierbares Land oder mehr Boote und Netze zu kaufen. Wie im Rest Galiläas profitierten von diesem Zuwachs an Produktionsmitteln jedoch vor allem die Landbesitzer und Geldverleiher, die nicht in Kafarnaum ansässig waren: die reichen Priester in Judäa und die neue städtische Elite in Sepphoris und Tiberias. Es waren jene Bewohner von Kafarnaum, die Jesus im Besonderen ansprach – jene, die sich plötzlich an den Rändern der Gesellschaft wiederfanden, deren Leben von den schnellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verschiebungen überall in Galiläa ins Chaos gestürzt worden war.
Das soll nicht heißen, dass Jesus nur an den Armen interessiert war oder dass nur die Armen sich ihm anschlossen. Einige ziemlich vermögende Wohltäter – etwa die Zollpächter Levi (Mk 2 , 13 – 15 ) und Zachäus (Lk 19 , 1 – 10 ) und der reiche Synagogenvorsteher Jaïrus (Mk 5 , 21 – 43 ) – unterstützten die Mission Jesu, indem sie ihn und seine Anhänger verköstigten und ihnen ein Dach über dem Kopf gaben. Doch Jesu Botschaft war so formuliert, dass sie eine direkte Provokation für die Reichen und die Mächtigen darstellte, ob es nun die Besatzer in Rom, die Kollaborateure im Tempel oder die Neureichen in den griechischen Städten Galiläas waren. Es war eine schlichte Botschaft: Der Herr und Gott hatte das Leiden der Armen und Enteigneten gesehen; er hatte ihre Angstschreie gehört. Und er schickte sich an, endlich etwas dagegen zu tun. Das war vielleicht keine neue Nachricht – Johannes predigte so ziemlich dasselbe –, aber es war eine Nachricht, die ein Mann im neuen Galiläa verkündete, der selbst als waschechter Galiläer die gegen Judäa und den Tempel gerichteten Gefühle teilte, von denen die Provinz durchdrungen war.
Jesus war noch nicht lange in Kafarnaum, als er schon eine kleine Gruppe gleichgesinnter Galiläer vor allem aus den Reihen der unzufriedenen Jugend des Fischerdorfes um sich scharte, die zu seinen ersten Jüngern wurden (tatsächlich hatte Jesus schon ein paar Jünger mitgebracht, jene, die sich ihm nach der Gefangennahme Johannes des Täufers angeschlossen hatten). Laut Markus-Evangelium fand Jesus seine ersten Anhänger, als er am Ufer des Sees Gennesaret entlangging. Da sah er zwei junge Fischer, Simon und seinen Bruder Andreas, die ihre Netze auswarfen, und sagte: «Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen.» Die Brüder, so schreibt Markus, ließen sofort ihre Netze fallen und gingen mit ihm. Etwas später traf Jesus zwei weitere Fischer – Jakobus und Johannes, die jungen Söhne des Zebedäus – und machte ihnen dasselbe Angebot. Auch sie verließen ihre Boote und Netze, um Jesus zu folgen (Mk 1 , 16 – 20 ).
Anders als die Menschenmengen, die zusammenströmten, wann immer Jesus in ein Dorf kam, und sich dann wieder verliefen, reisten die Jünger mit Jesus. Anders als die begeisterten, aber wankelmütigen Massen wurden die Jünger gesondert von Jesus aufgerufen, ihr Heim und ihre Familie hinter sich zu lassen, um ihm von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf zu folgen. «Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein.» (Lk 14 , 26 )
Das Lukas-Evangelium sagt, dass es insgesamt 72 Jünger waren (Lk 10 , 1 – 12 ), und dazu zählten zweifellos auch Frauen, von denen das Neuen Testament einige der Tradition zum Trotz sogar beim Namen nennt: Johanna, die Frau des Chuzas, eines Beamten des Herodes; Maria, die Mutter des Jakobus und des Josef; Maria, die Frau des Klopas; Susanna; Salome; und die vielleicht berühmteste von allen, Maria aus Magdala, die Jesus von «sieben Dämonen» geheilt hatte (Lk 8 , 2 ). Dass diese Frauen Jesu Jüngerinnen waren, zeigt sich daran, dass sie nach Aussage aller vier Evangelien mit Jesus von Stadt zu Stadt zogen (Mk 15 , 40 – 41 ; Mt 27 , 55 – 56 ; Lk 8 , 2 – 3 ; 23 , 49 ; Joh 19 , 25 ). Und sie waren nach Auskunft der Evangelien nicht die Einzigen: «Auch einige andere Frauen … waren Jesus … nachgefolgt und hatten ihm gedient» (Mk 15 , 40 – 41 ), von seinen ersten Tagen als Prediger in Galiläa an bis zu seinem letzten Atemzug auf dem Hügel in Golgota.
Unter den 72 jedoch gab es einen inneren Kern von Jüngern – alles Männer –, die eine
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