Zelot
schlauer Trick, mit dem unterstrichen werden soll, wie wundersam und fesselnd Jesu messianische Präsenz war; trotz seiner vielen Versuche, seine Identität vor den Massen zu verbergen, ließ sie sich doch schlicht nicht verhehlen. «Doch je mehr er es ihnen verbot, desto mehr machten sie es bekannt.» (Mk 7 , 36 )
Dies setzt jedoch ein Maß an literarischen Fähigkeiten voraus, für das es keinerlei Anhaltspunkte gibt. (Das Markus-Evangelium ist in einem groben, elementaren Griechisch verfasst, das den begrenzten Bildungsstand des Autors verrät.) Die Annahme, das Messiasgeheimnis könnte von Markus bewusst eingeführt worden sein, um Jesu Identität langsam zu offenbaren, widerspricht zudem der grundlegenden theologischen Versicherung, mit der das Evangelium beginnt: «Anfang des Evangeliums von
Jesus Christus, dem Sohn Gottes.
» (Mk 1 , 1 )
Doch selbst in dem Augenblick, als Jesu messianische Identität von Simon Petrus in dessen dramatischem Bekenntnis bei Cäsarea Philippi erstmals vermutet wird – und sogar dann noch, als seine Identität von Gott persönlich auf spektakuläre Weise auf dem Berggipfel offenbart wird –, gebietet Jesus seinen Jüngern Stillschweigen. Er weist sie beharrlich an, niemandem zu sagen, was Petrus bekannt hat (Mk 8 , 30 ), und verbietet den drei Zeugen seiner Verklärung, auch nur ein Wort darüber zu verlieren, was sie gesehen haben (Mk 9 , 9 ). Es ist wahrscheinlicher, dass das Messiasgeheimnis auf den historischen Jesus zurückgeht, wenngleich es im Markus-Evangelium möglicherweise ausgeschmückt und interpretiert wurde, bevor Matthäus und Lukas es willkürlich und mit offensichtlichen Vorbehalten übernahmen.
Wenn das Messiasgeheimnis historisch wäre, könnte dies erklären, warum Markus’ Redakteure so bemüht waren, das von ihrem Vorgänger, der mit diesem Titel offenbar nichts anfangen will, gezeichnete Porträt eines Messias wieder wettzumachen. Zum Beispiel: Während Markus’ Schilderung von Simon Petrus’ Bekenntnis damit endet, dass Jesus den Titel weder akzeptiert noch ablehnt, sondern schlicht seinen Jüngern verbietet, «mit jemand [em] über ihn zu sprechen», reagiert Jesus in Matthäus’ Erzählung derselben Geschichte, die 20 Jahre später verfasst wurde, auf Petrus’ Worte mit einer eindrucksvollen Bestätigung seiner messianischen Identität: «Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel.» (Mt 16 , 17 )
Bei Markus endet der wundersame Moment auf dem Berggipfel ohne einen Kommentar Jesu, abgesehen von der strikten Anweisung, niemandem davon zu erzählen. Bei Matthäus hingegen endet die Verklärung mit einem ausführlichen Diskurs Jesu, in welchem er Johannes den Täufer als den wiedergeborenen Elija identifiziert und damit die Rolle des Messias explizit für sich als den Nachfolger des Johannes/Elija beansprucht (Mt 17 , 9 – 13 ). Doch trotz dieser apologetischen Ausarbeitungen beenden sowohl Matthäus als auch Lukas das Bekenntnis des Petrus und die Verklärung mit der klaren Anweisung Jesu – in Matthäus’ Worten –, «niemand[em] zu sagen, dass er der Messias sei» (Mt 16 , 20 ).
Wenn es zutrifft, dass das Messiasgeheimnis auf den historischen Jesus zurückgeht, könnte dies nicht nur der Schlüssel zum frühkirchlichen Verständnis von Jesu Identität sein, sondern auch dazu, für wen sich Jesus selbst hielt. Freilich ist das keine leichte Aufgabe. Es ist extrem schwierig, wenn nicht gänzlich unmöglich, zur Analyse von Jesu Selbstverständnis die Evangelien heranzuziehen.
Wie bereits mehrfach betont, handeln die Evangelien nicht von einem Mann namens Jesus von Nazaret, der vor 2000 Jahren lebte; sie handeln von einem Messias, den die Evangelisten als ewiges Wesen ansahen, das Gott zur Rechten sitzt. Die Juden, die im 1 . Jahrhundert über Jesus schrieben, hatten sich bereits ein Bild davon gemacht, wer er war. Sie konstruierten einen theologischen Beweis für Natur und Funktion von Jesus
als Christus
und verfassten keine historische Biographie über ein menschliches Wesen.
Dennoch ist nicht zu übersehen, dass in den Evangelien eine Spannung existiert zwischen dem Jesus der Frühkirche und wie er sich selbst sah. Offensichtlich erkannten die Anhänger, die Jesus folgten, entweder noch zu Lebzeiten oder kurz nach seinem Tod in ihm den Messias.
Man sollte jedoch nicht vergessen, dass die messianischen Erwartungen im Palästina des 1
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