Zelot
auch dann nur unter Vorbehalt.
Wie Jesus seine Mission und Identität auch begriffen haben mag, ob er sich nun für den Messias hielt oder nicht – die Hinweise im frühesten Evangelium deuten jedenfalls darauf hin, dass Jesus von Nazaret sich nie offen als Messias bezeichnete. Übrigens nannte er sich auch nie «Sohn Gottes», ein anderer Titel, der ihm von dritter Seite gegeben wurde. (Entgegen christlicher Auffassung beschrieb der Titel «Sohn Gottes» nicht Jesu Vater-Sohn-Beziehung mit Gott, sondern war vielmehr die traditionelle Bezeichnung der Könige Israels. Zahlreiche biblische Figuren werden «Sohn Gottes» genannt, keiner davon häufiger als David, der größte König – 2 Sam 7 , 14 ; Ps 2 , 7 ; 89 , 26 ; Jes 42 , 1 .) Wenn er Bezug auf sich selbst nahm, gebrauchte Jesus vielmehr einen völlig anderen Titel, der so rätselhaft und einzigartig war, dass die Gelehrten Jahrhunderte lang verzweifelt zu ergründen versuchten, was er damit möglicherweise gemeint haben könnte. Jesus nannte sich «Menschensohn».
Die Bezeichnung «Menschensohn» (im Griechischen
ho hyios tou anthropou
) taucht im Neuen Testament etwa 80 Mal auf, und nur einmal, in einem möglicherweise opernhaft ausgeschmückten Abschnitt in der Apostelgeschichte, kommt sie einem anderen als Jesus selbst über die Lippen.
In diesem Abschnitt der Apostelgeschichte soll ein Anhänger Jesu namens Stephanus gesteinigt werden, weil er verkündet hat, Jesus sei der versprochene Messias. Als ihn eine Menge wütender Juden umstellt, hat Stephanus eine plötzliche, glückselige Vision, in der er zum Himmel hinaufsieht und dort Jesus in der Herrlichkeit Gottes erblickt. «Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen», ruft Stephanus (Apg 7 , 56 ). Dies sind die letzten Worte, die er hervorbringt, bevor die ersten Steine fliegen.
Stephanus’ eindeutig formelhafter Gebrauch des Titels beweist, dass Jesus nach seinem Tod von Christen tatsächlich als Menschensohn bezeichnet wurde. Das extrem seltene Vorkommen dieses Begriffs außerhalb der Evangelien und die Tatsache, dass er in den Paulusbriefen nirgendwo auftaucht, machen es indes unwahrscheinlich, dass «Menschensohn» ein von der Frühkirche eingeführter, christologischer Begriff zur Beschreibung Jesu ist. Im Gegenteil: Dieser Titel, der so mehrdeutig ist und sich in den Hebräischen Schriften so unregelmäßig findet, dass bis zum heutigen Tag niemand genau weiß, was er tatsächlich bedeutet, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einer, den sich Jesus selbst gegeben hatte.
Natürlich sollte erwähnt werden, dass Jesus Aramäisch sprach, nicht Griechisch. Sollte sich der Begriff «Menschensohn» also tatsächlich bis zu ihm zurückverfolgen lassen, bedeutet dies, dass er wahrscheinlich den Ausdruck
bar enasch(a)
, oder vielleicht dessen hebräisches Äquivalent
ben adam
gebrauchte, die beide «Sohn eines menschlichen Wesens» bedeuten. Mit anderen Worten: Auf Hebräisch oder Aramäisch bedeutet «Menschensohn» so viel wie «Mensch», was exakt der Verwendung des Begriffs in der Hebräischen Bibel entspricht: «Gott ist kein Mensch, der lügt, kein Menschenkind [
ben adam
], das etwas bereut.» ( 4 Mos 23 , 19 )
Man könnte nun argumentieren, dass auch Jesus den Begriff so verwendete – als allgemeines hebräisches/aramäisches Idiom für «Mensch». Die idiomatische Bedeutung wohnt sicherlich einigen der frühesten Menschensohn-Nennungen in Q und im Markus-Evangelium inne:
«Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn [also: «ein Mensch wie ich»] aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.» (Mt 8 , 20 ; Lk 9 , 58 )
«Auch dem, der etwas gegen den Menschensohn [soll heißen: «gegen einen beliebigen Menschen»] sagt, wird vergeben werden; wer aber etwas gegen den Heiligen Geist sagt, dem wird nicht vergeben, weder in dieser noch in der zukünftigen Welt.» (Mt 12 , 32 ; Lk 12 , 10 )
Es wurde argumentiert, Jesus habe den Ausdruck bewusst verwendet, um seine Menschlichkeit zu unterstreichen, also um zu sagen: «Ich bin ein menschliches Wesen
[bar enasch]
.» Eine solche Erklärung fußt jedoch auf der Prämisse, dass man die Menschen in Jesu Tagen daran erinnern musste, dass Jesus tatsächlich ein «menschliches Wesen» war, als hätten daran irgendwelche Zweifel bestanden. Das war jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht der Fall. Moderne Christen mögen
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