Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zelot

Zelot

Titel: Zelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reza Aslan
Vom Netzwerk:
Jesus als die Inkarnation Gottes betrachten, doch widerspricht eine derartige Messias-Vorstellung 5000  Jahren jüdischen Schrifttums, Denkens und jüdischer Theologie. Die Annahme, Jesu Publikum hätte ständig darauf hingewiesen werden müssen, dass er «nur ein Mensch» sei, ist schlicht unsinnig.
    Es stimmt zwar, dass sich der aramäische Begriff in seiner indefiniten Form
(bar enasch
und nicht das definite
bar enascha)
als «Sohn eines Menschen» oder nur «Mensch» übersetzen lässt, doch kann die griechische Version
ho hyios tou anthropou
nur mit «Menschensohn» übersetzt werden. Der Unterschied zwischen dem Aramäischen und dem Griechischen ist signifikant und kaum das Resultat einer schlechten Übersetzung durch die Evangelisten. Durch die Verwendung der definiten Form des Begriffs gebraucht ihn Jesus auf vollkommen neue und unerhörte Weise: als
Titel
, nicht als Idiom. Vereinfacht gesagt: Jesus bezeichnete sich nicht als «Sohn eines Menschen». Er nannte sich
Menschensohn
.
    Jesu eigenwilliger Gebrauch dieses kryptischen Begriffs muss für sein Publikum vollkommen neu gewesen sein. Es wird häufig angenommen, dass die Juden wussten, wovon Jesus sprach, wenn er sich als Menschensohn bezeichnete. Das stimmt aber nicht. Vielmehr hatten die Juden in Jesu Zeit keine einheitliche Vorstellung von einem «Menschensohn». Nicht, dass den Juden dieser Begriff unbekannt gewesen wäre – vermutlich rief er sofort eine ganze Reihe von Bildern aus den Büchern Ezechiel, Daniel oder den Psalmen hervor. Sie erkannten ihn nur nicht als Titel, wie sie es beispielsweise bei «Sohn Gottes» getan hätten.
    Auch Jesus wählte das bildliche
Menschensohn
(als Bezeichnung für ein Individuum und nicht nur als Synonym für «Mensch») vermutlich mit Hinblick auf die Hebräischen Schriften. Vielleicht bediente er sich aus dem Buch Ezechiel, worin der Prophet beinahe 90 -mal als «Menschensohn» bezeichnet wird: «Stell dich auf deine Füße, Menschensohn
[ben adam]
; ich will mit dir reden.» (Ez  2 , 1 ) Wenn es jedoch etwas gibt, worauf sich die Wissenschaftler einigen können, dann darauf, dass die Primärquelle für Jesu besondere Auslegung des Begriffs aus dem Buch Daniel stammt.
    Das Buch Daniel wurde während der Herrschaft des Seleukidenkönigs Antiochus Epiphanes ( 175 – 164  v. Chr.) geschrieben, jenes Königs, der sich für einen Gott hielt. Es beschreibt eine Reihe apokalyptischer Visionen, die der Prophet während seiner Tätigkeit als Seher am babylonischen Hof gehabt haben will. In einer dieser Erscheinungen sieht Daniel vier monströse Tiere aus dem Ozean emporsteigen – jedes steht für eines der großen Königreiche: Babylon, Persien, Medea und das griechische Königreich Antiochien. Die vier Tiere werden auf die Erde losgelassen, um diese zu verheeren und die Städte der Menschen niederzutrampeln. Inmitten von Tod und Zerstörung sieht Daniel etwas, das er als «Hochbetagten» (Gott) bezeichnet, der auf einem Flammenthron sitzt, mit schneeweißem Gewand und Haupthaar wie aus reiner Wolle. «Tausendmal Tausende dienten ihm», schreibt Daniel, «zehntausendmal Zehntausende standen vor ihm». Der Hochbetagte richtet über die Tiere, tötet und verbrennt die einen und nimmt den anderen Macht und Herrschaft. Dann sieht Daniel, der das Spektakel voller Ehrfurcht beobachtet, «einen wie ein Menschensohn
[bar enasch]
», der «mit den Wolken des Himmels» kommt.
    «Er gelangte bis zu dem Hochbetagten und wurde vor ihn geführt», schreibt Daniel über die geheimnisvolle Gestalt. «Ihm wurden Herrschaft, Würde und Königtum gegeben. Alle Völker, Nationen und Sprachen müssen ihm dienen. Seine Herrschaft ist eine ewige, unvergängliche Herrschaft. Sein Reich geht niemals unter.» (Dan  7 , 1 – 14 ) Mit «einer wie der Menschensohn» bezieht sich Daniel also offenbar auf ein bestimmtes Individuum, das die Souveränität über die Erde erhält und mit der Macht und der Befugnis ausgestattet wird,
als König
über alle Nationen und Völker zu herrschen.
    Daniel und Ezechiel sind nicht die einzigen Bücher, in denen «Menschensohn» zur Beschreibung einer einzelnen und bestimmten Person verwendet wird. Der Begriff taucht in recht ähnlicher Bedeutung auch in den apokryphen Büchern 4 . Esra und 1 . Henoch auf, noch spezifischer in den Parabeln bei Henoch, die allgemein als
Gleichnisse
bezeichnet werden ( 1  Henoch  37 – 72 ). In den
Gleichnissen
hat Henoch eine Vision, in der er zum Himmel aufblickt

Weitere Kostenlose Bücher