Zelot
genauer darzulegen, wie Gottes Herrschaft auf Erden schlussendlich funktionieren sollte. Das war allein Gottes Sache. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass Jesus eine klare Vorstellung von seiner eigenen Rolle in Gottes Königreich hatte: «Wenn ich aber die Dämonen durch den Finger Gottes austreibe, dann ist doch das Reich Gottes schon zu euch gekommen.» (Lk 11 , 20 )
Die Gegenwart des Königreichs Gottes hatte Jesus ermächtigt, die Kranken und Besessenen zu heilen. Gleichzeitig aber wurde das Königreich Gottes erst durch Jesu Heilungen und Exorzismen verwirklicht. Es war, mit anderen Worten, eine symbiotische Beziehung. Als Gottes Vertreter auf Erden – als derjenige, der Gottes Finger führte – läutete Jesus selbst das Königreich Gottes ein und errichtete durch seine Wundertaten Gottes Herrschaft. Somit war er das personifizierte Königreich Gottes. Wer sonst also sollte auf Gottes Thron sitzen?
Kein Wunder, dass man ihm am Ende seines Lebens, als er geschlagen und geschunden vor Pontius Pilatus stand, um sich für die gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen zu verantworten, nur eine einzige Frage stellte. Es war die einzige Frage von Bedeutung, die einzige Frage, die er dem römischen Statthalter beantworten sollte, bevor man ihn zur Kreuzigung brachte, der gewöhnlichen Strafe für alle Rebellen und Umstürzler:
«Bist du der König der Juden?» (Mk 15 , 2 ; Lk 23 , 3 ; Mt 27 , 11 )
Kapitel elf
Für wen haltet ihr mich?
Ungefähr zwei Jahre sind vergangen, seit Jesus von Nazaret am Ufer des Jordan Johannes dem Täufer begegnet und ihm in die Wüste Judäas gefolgt ist. In dieser Zeit hat Jesus nicht nur seines Meisters Kunde vom Königreich Gottes weiter verbreitet; er hat sie zu einer Bewegung der nationalen Befreiung für die Leidenden und Unterdrückten erweitert – einer Bewegung, die sich auf dem Versprechen gründet, dass Gott bald zugunsten der Armen und Schwachen eingreifen wird, dass er die römische Imperialmacht ebenso stürzen wird, wie er vor langer Zeit die Armee des Pharao geschlagen hat, und seinen Tempel den Händen der Heuchler entreißen wird, die über ihn herrschen. Jesu Bewegung hat sich ein Heer eifriger Gefolgsleute angeschlossen, von denen zwölf damit betraut worden sind, selbständig seine Botschaft zu verkünden. In jeder Stadt und jeder Ortschaft, in die sie kommen, in den Dörfern und auf dem Land versammeln sich große Menschenmengen, um Jesus und seine Jünger predigen zu hören und an den kostenlosen Heilungen und Exorzismen teilzunehmen, die sie all jenen anbieten, die sie um Hilfe ersuchen.
Trotz ihres relativen Erfolges haben Jesus und seine Jünger ihre Aktivitäten jedoch großteils auf die nördlichen Provinzen Galiläas beschränkt, auf Phönizien und die Golanhöhen, immer in sicherer Distanz zu Judäa und dem Sitz der römischen Besatzungsmacht in Jerusalem. Sie haben eine kreisförmige Route durch die ländlichen Gebiete Galiläas zurückgelegt, auf der sie die königlichen Städte Sepphoris und Tiberias ignorierten, um nicht mit den Streitkräften des Tetrarchen zusammenzustoßen. Sie haben sich zwar den reichen Hafenstädten Tyrus und Sidon genähert, jedoch davon abgesehen, diese zu betreten. Sie haben sich entlang der Grenzen der Dekapolis bewegt, doch die griechischen Städte und deren heidnische Einwohnerschaft strikt gemieden. Statt sich auf die reichen, kosmopolitischen Städte zu konzentrieren, hat Jesus seine Aufmerksamkeit auf kleinere Dörfer wie Nazaret, Kafarnaum, Betsaida und Nain gerichtet, wo sein Versprechen einer neuen Weltordnung begeistert aufgenommen wurde, sowie auf die Küstenstädte entlang des Sees Gennesaret – abgesehen von Tiberias natürlich, wo Herodes Antipas auf seinem Thron sitzt.
Nach zwei Jahren hat die Nachricht von Jesus und seinem Gefolge endlich auch Herodes’ Hof erreicht. Sicher hat sich Jesus weder gescheut, «diesen Fuchs» zu verdammen, der die Tetrarchie über Galiläa und Peräa beansprucht, noch hat er aufgehört, seine Verachtung für die heuchlerischen Priester und Schriftgelehrten zum Ausdruck zu bringen – jene «Schlangenbrut», an deren Stelle im kommenden Königreich Gottes Huren und Steuereintreiber treten werden.
Nicht genug damit, dass er jene geheilt hat, die der Tempel als Sünder ohne Hoffnung auf Erlösung verstoßen hat – er hat sie auch noch von ihren Sünden gereinigt und dadurch das gesamte priesterliche Establishment mit seinen kostspieligen, exklusiven Ritualen
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