Zeltplatz Drachenloch
Lehrerzimmers.
»Zu meiner Zeit hätte das Ausschluß aus der Schule bedeutet«, stellte er trocken fest. »So eine Bande! Was haben Sie vor, Kollege ?« Immerfroh lächelte. »Wenn Sie es mir erlauben, möchte ich die Angelegenheit auf meine Art in Ordnung bringen .« Er zog den Kollegen Scherenmann zum Fenster, und dort sprachen sie weiter. Bald lachte nicht nur Florian Immerfroh, sondern auch der Lehrer Scherenmann. Und Scherenmann lachte selten.
Als es auf die Zehnuhrpause zuging, wurde die Stimmung in der Sechsten immer gespannter. Immerfroh ließ die Landkarte aufrollen und die Hefte wegräumen.
Dann setzte er sich wieder auf den Tisch in der ersten Reihe. Das war sein Lieblingsplatz. Wenn er dort saß, die Arme verschränkt, dann war er gut gelaunt.
»Ihr wißt, was gestern vorgefallen ist ?«
»Ja«, antwortete die Klasse einstimmig.
»Ihr findet das, was man mit Georg gemacht hat, nicht okay ?«
Wieder ein einstimmiges Ja!
»Sehr schön. Und ihr würdet an meiner oder an des Direktors Stelle mit aller Schärfe vorgehen ?«
»Ja.«
»Schön. Und ihr selbst, ihr habt nie Georgs Schwäche ausgenützt, um auf seine Kosten einen Spaß zu haben?« Schweigen. Einige Köpfe senkten sich, andere suchten Deckung hinter dem Vordermann.
»Was soll ich also tun ?« fragte Immerfroh. Als keine Antwort aus der Klasse kam, lächelte er kurz und begann: »Gestern kam einer von euch zu mir, und wir beide schlossen ein Gentlemen’s Agreement...«
Bei diesem Wort ging ein Blick von Hans zu Max, der sich aufrichtete und stolz in die Runde blickte.
»Das ist auf gut deutsch ein mündliches Abkommen zwischen Ehrenmännern«, fuhr Immerfroh fort. »Ich denke, es hat sich bewährt. Wie wäre es — bitte, das ist nur ein Vorschlag von mir, aber überlegt einmal — , wie wäre es, wenn die Sechste mit der Siebten ein Gentlemen’s Agreement schlösse?«
Einige nickten.
Draußen läutete es. Kores, Franz und die übrigen vier mußten also gleich kommen. Immerfroh stand auf und ging vor den Bankreihen auf und ab. Er hinkte wirklich ein wenig. Wenn er so auf und ab ging, sah man es.
»Überlegt euch das schnell !« sagte er.
Da klopfte es auch schon. Und auf das »Herein !« des Lehrers betraten die sechs Übeltäter die Klasse. Immerfroh ging zum Fenster, sah eine Weile hinaus, als hätte er etwas sehr Sonderbares am blauen Himmel entdeckt, dann drehte er sich um.
»Nun?«
Die sechs schwiegen. Die Sechste, die sich auf dieses Schauspiel eigentlich sehr gefreut hatte, war plötzlich nicht in der richtigen Rachestimmung. Es war gar kein besonderes Vergnügen, die sechs Unglücksfiguren draußen stehen zu sehen. Die neugierig aufgereckten Köpfe senkten sich, und bald wußte man nicht mehr, wer eigentlich hier etwas verbrochen hatte.
»Nun ?« fragte Immerfroh ein zweites Mal.
»Ja«, versuchte Kores zu sagen. Aber seine Stimme schlug um, und es kam nur ein gequälter Piepser aus seinem Mund. Einige mußten kichern.
Da erzählte Immerfroh eine Geschichte von Eltern, die auf ein Kind warteten, das aus der Schule kommen sollte, von Eltern, die sich ängstigten und absorgten. Oh, er erzählte die Geschichte gut. Franz war der erste, der losheulte, dann packte es Kores. Nicht, daß er geradeheraus geweint hätte. Aber er zog ein paarmal geräuschvoll Rotz in der Nase hoch. Und das allein war bei Kores schon sehr viel.
Da ließ es Immerfroh genug sein. »Ich nehme an«, sagte er zu den sechs Missetätern, »daß ihr euch inzwischen entschuldigt habt. Wir werden jetzt zum Herrn Direktor gehen, und damit die Strafe nicht zu arg ausfällt, werden Hans, Max und Georg mitgehen .«
Der Direktor saß hinter seinem Schreibtisch. Er spielte mit einem Seilende, das besonders Kores und Franz, aber auch Georg sehr bekannt vorkam. Er nannte es » corpus delicti «, was alle sehr beeindruckte. Bisher hatten sie nicht gewußt, daß so ein unscheinbares Stück Seil auch ein » corpus delicti « sein könnte. Wenn es aber der Herr Direktor sagte, mußte es wohl so sein. Der Herr Direktor sprach auch sonst noch einiges, was ihnen kalte Schauer über die Haut jagte, allen, auch Max, Hans und Georg. »Ja, noch etwas«, besann sich der Herr Direktor, »ich arbeite heute nachmittag im Lehrmittelzimmer. Wenn mir dabei jemand helfen könnte ?«
»Das machen wir gern«, sagte Kores. Der Direktor sah zu Immerfroh. »Das ist schön«, sagte er, »länger als drei Stunden wird es nicht dauern, denke ich .«
Und damit war es aus. Keine Strafe,
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