Zeltplatz Drachenloch
schnellte hoch, und schon bekam Kores eine gezischte Linke aufs Kinn. Kores wackelte etwas mit dem Kopf, so, als hätte er Wasser in den Ohren. Dann hieb er zurück, traf aber nur die Luft. Hans hatte sich gebückt. Nun sprang er wieder auf und zischte nochmals mit der Linken los. Kores stöhnte, wütend schlug er zurück und traf Hans, daß dieser hinfiel. Hans war aber sofort wieder auf den Beinen und schlug noch einmal zu. Dann bekamen sie einander zu fassen, und hier war der schmächtige Hans schlechter dran als Kores. Trotzdem machte er Kores zu schaffen. Beide Klassen standen nun im Kreis um die beiden Raufenden und feuerten sie durch Zurufe an.
»Was geschieht hier ?« hörten sie plötzlich die Stimme Immerfrohs . Die Zuschauer stoben auseinander. Übrig blieb ein Knäuel auf dem Boden, bei dem man nicht feststellen konnte, wo Hans aufhörte und Kores anfing. »Na, na, na, na«, sagte Immerfroh langsam, da die beiden noch immer nicht aufhörten. Erst jetzt bemerkten sie den Lehrer. Langsam standen sie auf und klopften sich die Hosen ab.
Kores rieb sich Kinn und Wange.
»Er hat angefangen«, sagte Kores weinerlich.
»Stimmt das ?«
Hans schwieg.
»Du kannst gehen«, sagte Immerfroh zu Kores.
»Ich bin sonst zwar nicht sehr neugierig, aber wenn geschlagen wird, möchte ich immer wissen, warum .« Hans senkte den Kopf und schwieg.
»Also!«
Hans hob den Kopf und sah den Lehrer an. »Entschuldigen Sie, aber ich kann es nicht sagen .«
»Ah! Weißt du vielleicht gar nicht, warum du gerauft hast ?«
»Schon, o ja .«
»Was man weiß, kann man auch sagen .« Immerfroh blickte Hans freundlich an. »Ich fresse dich ja nicht .«
»Ich kann es wirklich nicht sagen .«
»Gut, ich gebe nicht gerne Strafen. Wenn es aber nicht anders geht, dann möchte ich wenigstens deinen Willen stärken. Ich gebe dir also eine willensstärkende Übung auf. Du wirst mir einen Aufsatz schreiben, und darin wirst du wahrheitsgetreu schildern, wie es zu dieser Rauferei gekommen ist. Ich sagte schon, daß ich nicht neugierig bin; aber in diesem Fall bin ich es. Leider oder Gott sei Dank.« Hans überlegte einen Augenblick. »Verzeihung«, er zögerte, »ich schreibe gern jede Strafe...«
»Es ist keine Strafe, ich sagte schon, daß es nur eine willensstärkende Übung sei«, unterbrach ihn der Lehrer.
»Ja, schon«, begann Hans wieder, »aber ich kann es auch nicht schreiben .«
Da läutete es. Die Pause war aus.
»Geh jetzt hinauf, und überleg’s dir einstweilen !«
In der Klasse war es still. Alle waren bedrückt. Was würde jetzt kommen? Was würde Immerfroh tun?
Er kam ohne ein Zeichen von Ärger. Er sagte: »Setzt euch, bitte«, wie immer. Dann stieg er vom Podium und setzte sich auf das Pult der ersten Bank. Sein Blick ging wieder von einem zum anderen, langsam, ruhig, freundlich.
»Ich möchte«, begann der Lehrer und sah zum Fenster hinaus, »ich möchte euch etwas sagen. Ich bin nicht als Erwachsener zur Welt gekommen und schon gar nicht als fertiger Lehrer. Ich hab’ auch einmal wie ihr in einer Sechsten die Schulbank gedrückt. Von der Schule ging ich in den Krieg. Und seitdem kann ich keine Schlägereien vertragen. Was ich euch sage, werdet ihr vielleicht heute nicht gleich verstehen; aber vielleicht merkt ihr es euch für später. Es gibt nichts, was vernünftige Menschen mit vernünftigen Worten nicht lösen könnten. Schläge sind keine Beweise. Sie sind eine Ausflucht der Dummen. Wenn ihr rauft, ist das gewiß nicht schlimm. Schlimm ist es aber, wenn Völker raufen. Darum sollt ihr euch gar nicht daran gewöhnen, eure Meinungsverschiedenheiten mit Gewalt zu bereinigen. Mit einem Kinnhaken oder mit einer Ohrfeige bereinigt man gar nichts. Man schafft damit nur neue Feindschaft .«
Immerfroh machte eine Pause und klopfte mit den Fingern auf das Pult. — »Tja, ich will euch keine Predigt halten, ich weiß, daß euch so etwas nur langweilt. Und damit wir einander wieder in alter Frische vertragen, bitte ich euch, mir zu sagen, warum ihr gerauft, das heißt, warum Hans gerauft hat .«
Der Lehrer stand auf und ging vor dem Podium auf und ab. Man konnte sehen, daß er wirklich ein wenig hinkte. Es war gewiß nicht arg, aber sehen konnte man es.
Georg stand auf. »Verzeihen Sie, bitte«, stotterte er, während alle Augen gespannt zu ihm blickten, »aber das können wir wirklich nicht, ich meine, das geht nicht, daß man es sagt .«
Immerfroh blieb stehen. Er sah irgendwo auf den Fußboden hin. »Gut«,
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