Zementfasern - Roman
spielten Pati und Mimi ein Spiel, sie suchten einander, betasteten das Gesicht des anderen, als wären ihre Wangen, die Nase, die Stirn aus einer weichen, formbaren Masse gemacht. Wenn sie es müde wurden, sich gegenseitig das Gesicht zu modellieren, zog Mimi mit der verstohlenen Bewegung einer Zauberkünstlerin eine Schachtel Streichhölzer hervor und zündete sich eines unter ihrem Kinn an, hielt das nächste nah an die Lippen, dann weitere an die Nasenlöcher bis zur Stirn. Ein Streichholz für jedes Detail, wenige Sekunden, die das Flämmchen in eine silberne Rauchspur verwandelten, und jede dieser winzigen Lichtquellen veränderte die Umrisse ihres Gesichts in einem Spiel aus Licht und Schatten. Hinter der Flamme eines armseligen Streichholzes verzerrten sie ihre Gesichter zu spöttischen Grimassen oder lang anhaltendem Grinsen, sie schnitten einander Fratzen und zogen sich die Augen mit den Zeigefingern lang. Es war ein Zugeständnis an eine längst vergangene Kindheit, die die Liebe mit Macht hervorkommen ließ.
Ein windiger Mittag vor der Ternitti. Ein Junge, in einen Mantel gehüllt und den Schal über dem Gesicht, wartete mit einer Flasche Milch in der Hand.
»Biagino, was machst du hier?«, fragte der Vope, seine Hände im Wind bewegend, um sich aufzuwärmen.
»Ich bring Papa die Milch.«
»Immer noch diese Milch, die nützt gar nichts, Biagino, sag das deiner Mama, Bier ist besser, willst du Bier?«
»Ich darf kein Bier trinken und Papa auch nicht, solange Tag ist.«
»Komm mit mir, Biagino, hast du schon mal Bier probiert?«
»Nein.«
»Es ist weiß wie Milch, dann wird es gelb wie Gold, und weißt du, was danach kommt, Biagino?«
»Nein.«
»Das Glück.«
Mama Rosanna war außer sich vor Wut und schrie den Vope vor Ippazio an; Biagino saß benommen mit rotem Gesicht an einem Tisch und rülpste wie ein Säufer.
»Du hast dem Kleinen Bier zu trinken gegeben, du bist ja verrückt, du bist ein Verbrecher.«
»Signora, das Kind ist kein Kind mehr, in seinem Alter hab ich gearbeitet und Glühwein getrunken, um
sirma
, meinem Vater, zu helfen.«
»Die Zeiten haben sich geändert, Biagino geht zur Schule, der ist ja kein Esel wie du.«
»Wozu soll das Lernen nützen?«
»Dazu, kein Esel zu werden, ich will keine dummen Kinder, einen Sohn wie dich will ich nicht«, sagte Rosanna und zeigte mit dem Finger auf ihn.
»Und ich will keine Tochter wie deine, die nachts zu Männern ins Bett geht.«
»Was sagst du da?«
»Passt auf die Mimi auf und erteilt andren keine Lehren.«
Im Weggehen machte Rosanna dem Vope noch einmal Vorwürfe, aber weniger überzeugt, die Anschuldigung hatte sie verletzt. Auch wenn sie falsch, haltlos war, allein dass jemand so etwas von Mimi gedacht haben konnte, erschien ihr entsetzlich und schmerzte sie.
In den folgenden Nächten bemerkte Mimi, dass sich etwas verändert hatte, sie hörte die tiefen Atemzüge ihrer Familie nicht mehr. Mama Rosanna blieb wach oder in einem lang andauernden Wachzustand zwischen Schlaf und Konzentration; doch Mimi konnte nicht länger warten, sie spürte, dass alle Zellen ihres Körpers Ippazio zustrebten, einer Nacht, noch einer weiteren Nacht mit ihm.
Sie krümmte sich langsam, versuchte, die Bettfedern nicht zum Schaukeln zu bringen, dann setzte sie die Füße auf den Boden, der Oberkörper blieb noch im Bett, all das tat sie mit gleitenden Bewegungen. Sie warf einen prüfenden Blick auf die anderen Betten, aber es war stockfinster, und sie konnte Biagino nicht sehen, der sie mit den Augen anflehte. Mimi verließ den Schlafraum der Orlando, Biagino hustete, aber sie war schon entwischt.
Pati war dort, wo sie ihn erwartete. »Meineliebste«, sagte er, wie ein einziges Wort. »Meineliebste, Meineliebste.« Mimi sog ausgiebig den bitteren Geruch ihres Geliebten ein. »Mein Geliebter«, dachte sie und fand, dass es stimmte. Dann spürte sie im Dunkeln die kalten Lippen auf ihrem Mund, ein feuchtwarmer körniger Film wie die Schale einer gekochten Frucht kam hervor, sie presste die Zähne zusammen und ließ die Zunge nicht hinein, aber die Lippen hielt sie geöffnet und holte sich so den Geschmack von Ippazio in den Mund, ihren ersten Kuss.
Warnende Vorzeichen hatte es am frühen Morgen nicht gegeben: Mama Rosanna hatte keine besonderen Bemerkungen gemacht, obwohl Mimi sehr zerstreut gewesen war und die Besorgungen, die ihr aufgetragen waren, ungewöhnlich geistesabwesend erledigt hatte.
Viele Stunden lang pulsierte der Kuss in ihren
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