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Zementfasern - Roman

Zementfasern - Roman

Titel: Zementfasern - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach <Berlin>
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ihr, was bekomme ich von euch, ihr habt doch nicht mal eine Lira in der Tasche?«
    »Wir zahlen ein Pfand.«
    »Dann kommt zu mir und arbeitet einen Tag lang für mich, bei mir gibt’s eine Menge zu tun.«
    Arianna warf den Ball seitlich in einem Bogen aufs Feld, Federico erwischte ihn noch im Flug und schoss mit aller Kraft auf Mimis Torwart, aber sie hielt die Stange fest umklammert, gab den Ball nach vorn bis zu ihrem Verteidiger weiter und versuchte erneut einen langsamen, angeschnittenen Schuss, doch dieses Mal ließ Federico sich nicht täuschen. Mit einem kräftigen Zug an der Stange klemmte er den Ball an der Seite des Spieltisches fest. Aber er hatte zu abrupt gezogen, der Ball rollte gegen Ariannas Figuren, sie schoss, der Ball prallte an Paolos Verteidigern ab und schlug gegen die Bande, raste zwei, drei, vier Mal hin und her, dann flog er davon wie ein Geschoss.
    Mit synchronen Bewegungen ihrer Köpfe folgten Paolo, Federico, Arianna und Mimi der Bahn der weißen Kugel und sahen sie schließlich in Richtung Klippe zwischen die Büsche fliegen.
    Nicht mehr als ein Augenblick verging, dann beherrschte Federicos Gestalt das Bild. Er sprang auf das Mäuerchen, gegen die Sonne des späten Sommernachmittags wie Bronze glänzend. Arianna lief ihm hinterher und rief, sie habe gesehen, wo die Kugel gelandet war, aber Federico hatte es auch gesehen.
    Mit nackten Füßen hüpfte Federico über die Felsen. »Da hinten ist sie!«, sagte Arianna, auf eine der vielen wuchernden Feigenkakteen weisend. Federico wandte sich zu ihr um, kniff die Augen zusammen, bis sie zu zwei dunklen Ovalen wurden.
    »Da gibt es Schlangen.«
    »Schlangen am Meer? Was für ein Unsinn!«
    »Lass uns unentschieden sagen, Arianna.«
    »Hast du etwa Angst?«
    »Ich habe keine Angst.«
    »Dann geh und sieh nach, ob du was findest.«
    Federico, bei seinem Stolz gepackt, ging zu dem Feigenkakteengebüsch und bog den Stamm mit der Fußspitze beiseite. Keine Spur von dem Ball, er wandte sich zu Arianna um und blickte in ihre braunen Augen, die im Sommer unter der Sonne hell wie Aquamarin wurden, er sah ihr eckiges Gesicht, das Ebenbild von Mimi, den kleinen, schmalen Körper, die Hände in einer Pose zwischen Missbilligung und Erwartung in die Seiten gestemmt. Ein unwiderstehlicher Drang sie zu küssen stieg Federico ins Blut.
    Unterdessen starrte Paolo auf einen undefinierbaren Punkt am Horizont über dem Meer, als habe er gerade ein Schiff auf hoher See erspäht, doch das tat er nur aus Schüchternheit. Mimi beobachtete ihn neugierig, dabei presste sie die Lippen zusammen und machte eine Grimasse, um ihn zum Lachen zu bringen.
    »Du musst mehr essen, Paolo, oder willst du bald ganz verschwinden?«
    »Ja, Signora …«
    »Mimi.«
    »Ja, Mimi, bitte entschuldigen Sie.«
    »Entschuldige bitte, nicht entschuldigen Sie.« Und sie streichelte ihn an der Stelle, die unter Federicos Ellenbogenstößen gelitten hatte.
    Federico küsste Arianna nicht.
    Er versuchte es nicht einmal. Die Kugel fand er nicht. Stattdessen wurde ihm etwas klar. Arianna musste immer da sein. Während er noch einem Anfall von Redseligkeit nachgab, ein Versuch, sie zu unterhalten und seine Schüchternheit zu verbergen, ausgerechnet da, als er gerade begonnen hatte, sie in einem neuen Licht zu sehen – ein Mädchen, dem man den Hof machen musste, keine Spielkameradin beim Schwimmen und Kickern – gerade in dem Augenblick, als er im Aufruhr seiner Gefühle wühlte, stiegen Schreie zum Himmel auf.
    Auf den ins Meer hineinragenden Felsvorsprüngen hatten sich Dutzende Schatten erhoben, die, ihre Augen mit der Hand gegen die Sonne abschirmend, den Horizont musterten: Dort kämpften zwei noch unbestimmbare Schiffe mit den Wellen. Gewöhnliche Fischerboote waren es nicht, sondern zwei überfüllte Kähne, sie sahen aus wie eine Skulptur von Arcimboldo, doch statt Weintrauben klammerten sich Menschentrauben an diese Boote. Auf den Klippen war das anfänglich anschwellende Stimmengewirr inzwischen verstummt, alle Aktivitäten, die Gespräche und Rufe, die Geräusche des Windes zwischen den Wellen und den Wasserpflanzen waren wie zeitweilig aufgeschoben. Arianna und Federico krochen in einen Spalt aus Steinkorallen, hockten sich nebeneinander hin.
    »Fede, was sind das für Leute?«
    »Was weiß ich, Albaner vielleicht?«
    Mimi Orlando war zur Brüstung zurückgekehrt, von wo aus sie ihre Tochter beim Schwimmen beobachtet hatte, und jetzt wartete sie unter einer milderen Sonne mit

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