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Zementfasern - Roman

Zementfasern - Roman

Titel: Zementfasern - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach <Berlin>
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längeren Schatten auf die Ankunft der Boote, die da draußen dem Meer ausgeliefert waren.
    Seit Monaten kamen zu Dutzenden Boote mit Männern, Frauen und Kindern an. Unvermeidlich wurde Mimi an ihre Reise vor über fünfzehn Jahren erinnert, an das Misstrauen gegenüber den Leuten aus Bari und den vermeintlich Cholerakranken, an die Sonntagnachmittage, wenn die Schweizer verschwanden, um ihnen Platz zu machen, den
Tschinkeli
mit der Unterhaltungsmusik und der Mundharmonika von Mincuccio Vierzunull. Sie erinnerte sich an den Zug in die Schweiz, der seine Fahrt allmählich verlangsamte, wenn er in die Bahnhöfe kam, an das Kreischen der Bremsen, das immer lauter wurde, bis es unerträglich war, und an den Moment, als sie in den Züricher Bahnhof einfuhren, den Höhepunkt der eisernen Folter für die Ohren, die schlagartig abbrach, um in ein Rauschen überzugehen.
    Jede Nacht klopften bei den Leuten, die in den
pajare
in der Nähe des Ciolo, auf der Serra und in Tricase Porto wohnten, Männer und Frauen in nassen Kleidern an die Tür, baten um Hilfe und Trost. Oft überlegte Mimi, was wohl geschehen wäre, wenn mitten in der Nacht tropfnasse Menschen mit Salz in den Haaren vor ihrem Haus in Lucugnano gestanden hätten.
    Gewöhnlich flammten am späten Abend auf dem Meer neben den Lampen der Fischerboote kleine rote Lichter auf, wie die Blinklichter der Flugzeuge am Himmel, das waren die elektrischen Augen der Gummiboote und Schaluppen, die die Emigranten etwa zwanzig Meter vor der Küste in das dunkle Wasser abluden. Seit einigen Monaten ließen sie die Menschen in immer größerer Entfernung zum Ufer oder nahe bei den Klippen aussteigen, wo die Küstenwache sie nicht so leicht entdecken konnte.
    Auch diese Landung folgte dem üblichen Ritual, wenige Meter vor der Küste leerten sich die Boote rasch, und auf dem Wasser bildete sich weißer Schaum, als wäre manch einer über Bord gestoßen worden. Gleich darauf verwandelten sich die Boote wieder in das, was sie wirklich waren: Motorschiffe, keine Flussfähren. Zwei Männer am Steuer wendeten inmitten der aus dem Wasser ragenden Köpfe, zogen an einem schwarzen Seil, das an der bunten Motorhaube baumelte, man hörte ein Knallen, dann fuhren sie los, um im dunkelblauen Nebel des Horizonts zu verschwinden.
    Vor dem Kiosk hatte sich der Barmann, ein dickleibiger Mensch mit einem angedeuteten weißen Oberlippenbärtchen im geröteten Gesicht, neben Mimi auf die Brüstung gesetzt.
    »Das ist nicht richtig. Das tut man nicht«, sagte sie zu sich selbst, nicht ahnend, dass man sie hörte.
    »Signora, ich habe mal einen von denen beherbergt, seien Sie vorsichtig, der hat sogar meine Wasserhähne mitgenommen.«
    »Danke für diese Information, das könnte mir nützlich sein.«
    »Gern geschehen.«
    »Wenn diese Reisenden eines Nachts bei mir anklopfen, werde ich die Wasserhähne im Bad abschrauben und in Sicherheit bringen, bevor ich ihnen aufmache.«
    »Wenn Ihnen genug Zeit dafür bleibt …«
    »Natürlich, ich werde diese unerwarteten Gäste eben ein bisschen warten lassen, aber dann finden sie das Haus schon vorbereitet vor.«
    »Vergessen Sie nicht die Seife, die Klobrille und die Handtuchhaken, diese Leute sind wie Heuschrecken.«
    »Verstehe. Ich wüsste allerdings nicht, wo ich das alles verstecken sollte.«
    »Hören Sie auf mich, nicht da, wo Sie Ihr Geld aufbewahren, sonst machen Sie denen am Ende noch ein Geschenk.«
    »Aber warum haben Sie sie dann aufgenommen?«
    »Weil ich katholisch bin.«
    »Eine schöne Geste.«
    »Und wie hat man es mir vergolten? Man hat mir das Haus ausgeplündert.«
    »Warum sind sie gerade zu Ihnen gekommen?«
    »Weil ich ein Haus hier in der Gegend habe, und außerdem, weil ein Typ, der schon hier in die Bar kam, als er noch in kurzen Hosen Fahrrad fuhr, mir zwei Millionen Lire gegeben hat, damit ich sie aufnehme.«
    »Ein Akt christlicher Nächstenliebe.«
    »Ja, der ist wirklich ein guter Christ.«
    »Nicht so gut wie Sie, der Sie Ihre kostbare Badezimmerarmatur verloren haben.«
    »Naja, kostbar nicht, aber sauer bin ich schon.«
    »Signor …«
    »Giuseppe.«
    »Ok, Giuseppe.«
    »Sie können mich gerne duzen, Signora.«
    »Danke, lieber nicht, ich bin noch ein Mädchen.«
    »Aber Sie haben doch schon eine große Tochter.«
    »Stimmt, doch ich sieze alle Menschen, die erwachsener sind als ich und viel mehr zu wissen scheinen als ich.«
    »Ich danke Ihnen.«
    »Bitte. Sie haben mir einen wichtigen Rat gegeben.«
    »Wegen des

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