Zementfasern - Roman
Sie lebte in einem Ortsteil namens Lucugnano, einem Ort aus weißen einstöckigen Häusern in einer von Olivenhainen und Weizenfeldern umgebenen Bucht. Mitten in der kleinen Gemeinde gab es eine große Bibliothek und darin den Geist eines Dichters mit Namen Girolamo Comi, eines der vielen Gespenster, mit denen Mimi sich unterhielt.
Einmal im Jahr, am Gedenktag des Heiligen Antonius, zwei Wochen vor den Tagen der Amsel Ende Januar, wurde auf der Piazza in der Ortsmitte ein riesiger Holzstoß aufgerichtet und ein Feuer entfacht, als gutes Omen für das kommende Jahr, um die bösen Geister zu bannen und die Heiligen gnädig zu stimmen. Schon oft hatte Mimi in den fünfzehn Jahren, seit sie aus der Schweiz zurückgekommen war, das majestätische Schauspiel mit feuchten, glücklichen Augen bewundert, und es war einer der wenigen Momente, in denen sie Zufriedenheit empfand. An Winterabenden, die nach Kamin und den im Feuer knackenden Olivenzweigen dufteten, ging Mimi auf die Piazza, wo der geweihte Scheiterhaufen glühte. Arianna hatte sie immer begleitet, die Wärme und die Flammen, die den Ort wie außerirdische Lichter erhellten, rührten beiden, jeder auf eigene Weise, das Herz.
Vor einigen Jahren war auch Großmutter Rosanna in einer solchen Nacht dabei gewesen, als ihr die Kälte noch nicht derart in die Knochen biss und sie an Winterabenden nach draußen gehen konnte. Das Feuer war wie ein großes Temperagemälde in Rot und Orange, die Flammenzungen dehnten sich aus wie Gummibänder, und die drei Orlando-Frauen schmiegten sich eng aneinander, Arianna und Rosanna suchten Mimis Nähe, sie stand in der Mitte und bewegte sich im Rhythmus einer Musik, die nur sie hörte.
»Ist dir kalt?«, fragte Rosanna.
»Nein, Mama, ich möchte tanzen und Spaß haben. Lasst uns den Heiligen feiern.«
Aus dem Prasseln der Lohen hörte Mimi ein Geräusch, und dieses Geräusch kam nicht nur vom verkohlenden Holz, das mit seinem Zerfall eine graue Spur an den schwarzen Himmel malte, es waren die Töne eines musikalischen Systems, das sie anfeuerte und sie beherrschte. Sie allein.
In Ariannas Personalausweis stand derselbe Geburtsort wie der vieler ihrer Altersgenossen und Landsleute: Zürich. Ihre Haut war blass, ihre Augen dunkel wie Tonerde, die Haare kastanienbraun, doch die Farben ihres Körpers änderten sich im Sommer, wurden heller: die Haare kornblond, die Augen glichen dem Meergrün mancher sonniger Morgen, ihre Haut aber wurde milchkaffeebraun.
Schon mit zehn Jahren hatte sie angefangen zu arbeiten, in einem von Freunden betriebenen Kiosk an der Küste von Tricase Porto, wo die kleinen Fischerboote lagen, die hinausfuhren, um Seebarben zu fangen, und ihre Sommer verbrachte sie damit, zusammen mit zwei Kindern aufzuwachsen, die entwurzelt waren wie sie: Paolo und Federico.
Paolo war mager und blass. Er war wirklich Schweizer, in jedem Ort des Salento gab es Kinder, die »Schweizer« genannt wurden. Es waren die Kinder von Vätern, die hinter den Alpen geblieben waren, Frauen von dort geheiratet hatten und ihre Söhne in die gute Luft am kobaltblauen Meer des Salento schickten.
Federico war der Sohn vom Vope, dem Mann, der vor vielen Jahren die gemeinsamen Nächte von Pati und Mimi bewacht hatte. Mit seinen Eltern war er nach Corsano gezogen, dem kleinen Ort der Strümpfe und Fahrräder unweit von Tricase. Kräftig war er und größer als normal für sein Alter, dunkel, sonnengebräunt auch im Winter.
Im Sommer kamen Federico und Paolo jeden Tag mit dem Fahrrad zu dem Kiosk, wo Arianna arbeitete. Wenn sie die abschüssigen Straßen hinunterfuhren, nahmen sie die Hände vom Lenker und warfen sie dem blauen Horizont entgegen, dann gelangten sie zu den großen Wellenbrechern, die die Form von Nägeln mit drei Köpfen hatten, und von dort flogen sie ins Meer. Nach Ariannas Arbeitsschicht gingen sie zu dritt zum Viadukt des Ciolo, um von den hohen Felsen aus ins Wasser zu springen.
Wenn Mimi mitkam, was selten geschah, war das ein Fest für Federico und Paolo. Mimi nahm sie mit in die Bar, spendierte ein Eis, und dann zahlte sie die Spielmarken für eine Partie Tischfußball.
Auch an diesem Tag fanden sich alle vier um den Spieltisch zu einer Partie Kicker versammelt.
Die Stangen glänzten, die Männchen aus rotem und blauem, mit schwarzen Flecken übersätem Plastik warteten nur darauf, gelenkt zu werden, der unter der Sonne uneben gewordene grüne Kunststoffrasen leuchtete.
»Arianna, du spielst mit mir«, bestimmte
Weitere Kostenlose Bücher