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Zementfasern - Roman

Zementfasern - Roman

Titel: Zementfasern - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach <Berlin>
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Geldes?«
    »Auch das, aber vor allem wegen der Wasserhähne. Ich gehe sie abmontieren.«
    Paolo hatte schweigend zugehört. Der Ausdruck freundlicher Nachsichtigkeit war Mimi nicht eine Sekunde lang aus dem Gesicht gewichen, Paolo hatte nicht alle Nuancen des Gesprächs verstanden, aber es hatte ihn fasziniert, denn in Mimis Worten lag mehr als sie sagte: Während der Barmann antwortete, suchte sie Paolos Blick und lächelte sardonisch.
    Dann begann das Meer zu lärmen, die Rufe der Leute auf den Klippen feuerten die zum Ufer schwimmenden Menschen an, zwei von ihnen schafften es nicht, nach den Schreien zu urteilen, waren es junge Frauen oder Kinder.
    Niemand schien sie zu bemerken in dem Durcheinander aus Schaum und Schreien, alles ging im Chaos unter. Jedes Jahr nahm die Madonna dell’Assunta am Tag von Mariä Himmelfahrt jemanden mit sich, darum gebot der Brauch, am 15. August dem Meer fernzubleiben. Aber Ferragosto war noch weit. Arianna und Federico wussten das, und nachdem sie einen kurzen Blick gewechselt hatten, sprangen sie von der Felszacke. Es war ein langer, mächtiger Flug, mindestens zehn Meter, senkrecht stürzten sie ins Wasser, die Füße aneinandergelegt und mit zugehaltener Nase, sie tauchten wieder auf und schwammen sofort mit wilden Stößen auf zwei kleine Kreise aus elfenbeinfarbenen Schaumblasen zu. Viele Menschen hatten unterdessen das Ufer erreicht, außer diesen beiden, die verzweifelt mit den Armen fuchtelten. Federico war schnell und steuerte auf die zu, die größere Schwierigkeiten zu haben schien, obwohl sie schon näher am Ufer war. Arianna suchte das andere Mädchen, doch als sie bei ihr angekommen war, sah sie sich zu ihrem Erstaunen einem Kind gegenüber, einem Kind, das vergeblich versuchte, sich reglos auf dem Rücken liegend an der Oberfläche zu halten, wie man es ihm vermutlich während der Überfahrt beigebracht hatte. Federico dagegen schlug sich mit einer Frau herum, vielleicht die Mutter des Kindes, und während er sie um den Hals fasste, sah er die Berge und die Formationen der Landschaft verschwinden, alles verschwand, nun musste er sich auf seine Ohren verlassen, den Geräuschen folgen und in die Richtung schwimmen, aus der die Stimmen kamen, die seine Rettung waren. Beim Handgemenge mit der Frau versank er im Schaum, winzige Wellen schwappten über seine Augen, das Meer öffnete sich weit, und unter ihm wogte der Wald des Meeres: rosa Bäume, samtige fadenförmige Anemonen und dicht mit Beeren besetzte orangefarbene Algen. Federico bemühte sich, die Augen offenzuhalten, darum konnte er sogar die Steine auf dem Grund erkennen, einer davon bewegte sich, darunter kam ein schwarzer Tentakel hervor, während ein hellblaues Wesen sich zwischen seinen Beinen hindurchschlängelte und verschwand.
    Als er es endlich ans Ufer geschafft hatte, war ihm, als müsste seine Brust zerspringen, er wollte erbrechen, seine Knie gaben nach, die Muskeln an den Oberschenkeln schmerzten, doch die Gedanken liefen zu Arianna, und als er sie nicht sah, nur fremde Stimmen um sich herum hörte, viele Stimmen, die unbekannte Worte in einer fernen Sprache sagten, da fühlte er sich trotz seines schmerzenden Körpers der Verzweiflung nah. Bedrängt vom Rauschen des Meeres und dem Weinen der jungen Frau, die er gerettet hatte und die jetzt mit Ohrfeigen traktiert wurde und Luft aus einem Beatmungsgerät bekam, wurde ihm bewusst, dass er ohne Arianna nicht überleben konnte, Arianna zu verlieren, würde ihn in den Wahnsinn treiben. Federico drehte sich zum Meer um und sah ein Mädchen mit einem Kind an der Hand ruhig am Ufer entlanggehen, als hätten sie ein normales Bad genommen. Der steinige Strand, der sich ins Meer hineinfraß, füllte sich mit Menschen, die das Mädchen mit dem Kind umringten. Es war Arianna, und sie wirkte nicht einmal erschöpft, sie fuhr sich mit der Hand in den nassen Haarschopf, um die Strähnen auszuwringen.
    Obwohl Federicos Beine sich anfühlten, als steckten zwei Bleigewichte darin, ging er ihr entgegen. Durch Mund und Nase sog er so viel Luft ein, wie er konnte, und küsste ihre Lippen.

Biagino Orlando war zu Celestino geworden, weil er eine Zeitlang mit einem hellblauen Haarschopf durch Tricase gelaufen war; andauernd hing er in Gesellschaft eines gewissen Catone herum, niemand wusste, ob Catone der Name, der Nachname oder bloß ein Spitzname war.
    Nach einer Phase Mitte der achtziger Jahre, die man der Einfachheit halber als »Punk« bezeichnen könnte, geriet

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