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Zementfasern - Roman

Zementfasern - Roman

Titel: Zementfasern - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach <Berlin>
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Biagino in eine zweifelhafte Clique von Trinkern, aus der er wieder ausstieg, als die Trinker sich in Fixer verwandelten. Das sandfarbene Pulver, das man in Löffeln auflöste, interessierte ihn nicht. Celestino ging es nur darum, sich mit Alkohol zu betäuben und die eigenen Grenzen jeden Tag etwas weiter zu überschreiten, sich zu betrinken bedeutete für ihn, den Dingen auf den Grund zu gehen.
    Als Arianna klein war, hatte Celestino viele Stunden am Tag mit ihr verbracht. Rosanna versuchte zwar nach Kräften, ihre Enkelin von dem unverbesserlichen Trinker-Onkel fernzuhalten, doch das gelang ihr nicht immer. Biagino hatte sie mehrmals von der Schule abgeholt und auf eine seiner hemmungslosen Sauftouren mitgeschleppt. An manchen Nachmittagen, wenn weder Mimi noch Rosanna Zeit hatten, behielt er Arianna als Maskottchen bei sich. Eines Tages vergaß er sie in einer Bar in Tricase mitten in der Altstadt, und noch heute erzählt man sich mit jener besonderen Mischung aus Einverständnis und Vorwurf diese Geschichte.
    Tricase ist ein kleines Städtchen, doch in seinen Vierteln, die mit ihren engen rechtwinkligen Straßen satellitengleich um den Ortskern kreisen, verläuft man sich leicht. Man verläuft sich leicht nach vielen Runden mit Giacomo Daniele, vielen Zweikämpfen zwischen ihm und Celestino.
    In jeder Bar von Tricase wurden aus den Flaschen, die sich funkelnd vor den neonbeleuchteten Wandspiegeln hinter den Theken aufreihten, kleine Bühnen aufgebaut. Die Spirituosen erhielten neue, phantasievolle Namen, zum Beispiel nach der Farbe der Bierflaschen: »die Grüne« oder »die Infusion«, wenn das Glas dunkel war, »die Mähne« hieß der Schnaps, auf dessen Etikett ein Mann mit dichtem Haarwuchs abgebildet war, »die Erste Hilfe« war der Kräuterbitter mit einem roten Kreuz auf der Flasche, und schließlich »die Perücke« für den Scotch, wegen des Profils eines Mannes aus dem 18. Jahrhundert mit einer weißen Perücke. Über allen aber thronte der Whisky, den Biagino »Giacomo Daniele« nannte.
    »Via Crucis« hieß die Runde durch die Bars, die Celestino unternahm, wenn der Tag begann. Es waren etwa fünfzehn Stationen, und wie beim Kreuzweg unseres Herrn Jesus Christus gab es Momente der Geißelung und sogar ein bisschen Auferstehung.
    Celestino und Giacomo Daniele vertrieben sich die Zeit mit geschliffenen Reden. Giacomo Daniele hatte sich, schon recht ausgezehrt, auf dem Grund eines bauchigen Glases abgesetzt und wurde von Biagino verhört: »Warum lachst du mich heute Abend nicht an?« Diese Frage wurde dem leeren Glas häufig gestellt, wenn auf dem Boden in der Mitte eine holzbraune Perle geblieben war, in der der letzte Tropfen Whisky schlief.
    Eines Abends hatte Giacomo Daniele wirklich gelacht. Celestino war mit Catone in der Bar Millevoglie, deren Inhaber Samuele, ein altersloser Barmann, im Krieg in Russland gekämpft hatte, von wo er mit drei Fingern weniger und am ganzen Körper mit Wunden bedeckt auf unerfindlichen Wegen zurückgekehrt war. Er lachte ohne Zähne, seine echten hatte er vor Jahren verloren, das Gebiss schlief in einem Glas mit Wasser voller Bläschen, und eines Abends servierte er es versehentlich seinen Kunden mit ein wenig Giacomo Daniele. Die Kunden waren Catone und Celestino, die auf dem Grund eines der soeben hinuntergekippten Gläser Samueles Zähne fanden. Doch für Biagino Orlando, den frommen Trinker von Tricase, war dies nicht das Gebiss seines Barmanns, des ehemaligen Soldaten, sondern das phantastische Lächeln von Giacomo Daniele, der ihn aufforderte weiterzumachen: »Trink, Biaggì, trink, denn das Leben ist kurz.«
    Wenn Celestino am frühen Morgen aus dem Haus ging, wusste er, dass er Biagino Orlando hieß, wenn er am späten Abend heimkehrte, konnte er sich im Spiegel nicht mehr erkennen und sich keinen Namen geben. Rund um Lucugnano, Tricase, Corsano und Tiggiano gab es keine Bar, in der er nicht Stammgast war. Oft brachte man ihn bewusstlos nach Haus und legte ihn, von Rosannas und Antonios verzagten Blicken begleitet, ins Bett. Dann liefen sie in das Zimmer ihres Ex-Kindchens, das fast immer vollständig bekleidet auf der Bettdecke schlief.
    Eines Abends musste der Vater ihn in Porto Miggiano abholen, einem etwa zwanzig Kilometer von Tricase entfernten Streifen aus Kieselsteinen zwischen den grünenden Hügeln der Steilküste. Celestino schlief auf den meeresfeuchten Steinchen und erschreckte mit seinem Schnarchen die Einsiedlerkrebse. Antonio zog ihn hoch, lud

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