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Zementfasern - Roman

Zementfasern - Roman

Titel: Zementfasern - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach <Berlin>
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Süße ganz kurz vor dem ekelerregenden Geruch von Müllbergen. In einer Ecke lag eine Matratze, wo sich tagsüber Fixer einen Schuss setzten. Ein gefährlicher Ort war das, der den Adrenalinspiegel ihrer Begegnungen ansteigen ließ und im Lauf der Zeit unentbehrlich wurde.
    »Zieh dein schönstes Kleid an«, bat der Anwalt, und Mimi gehorchte, hüllte sich in dunkle Kleider mit einem einzigen Reißverschluss, einem einzigen Knopf, die den Anschein von Unnahbarkeit hatten. Schwarze Strümpfe, einen neuen Hüfthalter, den sie sich von einer mit ihr verschworenen Schneiderin aus Castrignano passend auf die Hüften hatte nähen lassen, hochhackige Schuhe, das alles, um an einen Ort zu gehen, wo es niemanden und nichts mehr gab, außer dem Geruch und Geschmack nach Zuckerrohr.
    Manchmal flammte ein Licht am Ende des Weges auf, während Mimi und der Anwalt ineinander verschlungen waren, jemand hatte sie entdeckt. Ein alter Landstreicher, ein verzweifelter Junkie, doch niemand hatte sie je gestört: Der Lichtschein verschwand, wie er gekommen war, gleich einem Kometen oder einem Irrlicht. Das wohlwollende Wunderzeichen eines gastfreundlichen Geistes.
    Oft hatte Mimi, wenn sie nach Hause zurückkam, sich kein einziges Mal ausgezogen, sie hatte die ganze Nacht lang an verschiedenen Orten Liebe gemacht, und davon blieb nur eine schwarze Spur vom Eyeliner auf ihrer Wange, das einzige Zeichen, dass der Anwalt vorbeigekommen war.
    Eines Nachts schlug er Mimi ein Fest in Lecce vor. Mit verdächtiger Häufigkeit fügte er der Einladung das Adjektiv »besonders« hinzu.
    »Das wird ein besonderes Fest mit einer ›besonderen Begegnung‹.«

Eine Kette aus Kerzenlichtern entlang der Treppe des Schlosses von Karl V. wies den Weg. Die Gäste folgten den Klängen der Musik aus einem Raum, in dem ein Orchester spielte.
    Die Frau mit dem Glas Prosecco lächelte, ihr Rücken war nackt, die schwarzen Haare fielen ihr lose auf die Schultern, und ihre bemalten Augen glänzten im Licht. Die Männer beobachteten sich heimlich; wenn sie lachte, schloss sie die Augen, und manch einer wagte nur dann, sie zu mustern, von den Schuhen bis zum Haar. Furchtlos.
    Es war Mimi.
    Der Anwalt war den ganzen Abend lang an ihrer Seite geblieben, bei ihnen war eine große junge Frau, die in einer Kanzlei in Brindisi arbeitete. Er hatte hartnäckig darauf bestanden, die beiden Frauen miteinander ins Gespräch zu bringen. Mimi konnte ihren Namen nicht behalten, etwas Exotisches wie Aspasia oder Acaia, ein Künstlername vielleicht. Sie war viel jünger, als sie aussah. Ihr Gesicht war mit einer dicken Schicht Puder bedeckt, die künstlich verlängerten Wimpern sprossen aus einem blauen Blick, blau wie die Iris und das Augenmake-up. Sie bewegte sich ungezwungen in ihrem eleganten Kostüm mit Blumenmuster, und während sie einige gewagte Liebesgeschichten erzählte, spürte Mimi ihren Atem so nah vor ihrem Mund, als wollte das Mädchen sie im nächsten Augenblick küssen. Eine Leichtfertigkeit, die Mimi amüsant fand, doch nach mehreren Drinks verlor der Atem seine anfängliche Grazie, nahm den Geruch von Alkohol und Zigaretten an, die Stimme der Frau wurde heiser.
    Freundlichkeit ist eine Gabe der Seele.
    Mimi glaubte daran, mit Freundlichkeit kann man die kleinen Unhöflichkeiten und die großen Schmerzen lindern, Freundlichkeit ist eine Eigenschaft von Menschen, die einander zuhören können. An diesem Abend im Schloss übte niemand Freundlichkeit, nur Höflichkeit. Ein konventionelles Ritual aus gezwungenem Lächeln, aus Sätzen, die einer Sammlung von Selbstverständlichkeiten entnommen waren.
    »Was arbeitest du?«
    »Krawatten.«
    »Du entwirfst sie?«
    »Nein, ich mache sie.«
    »Du lässt sie herstellen?«
    »Nein, ich mache sie, ich bin Arbeiterin.«
    »Ach, ich fühle mich auch als Arbeiterin.«
    »Aber du bist keine.«
    »Stimmt, ich bin Anwältin, so wie du Krawatten machst, aber ich bin noch etwas anderes, ich bin Malerin.«
    »Was malst du?«
    »Ich male weibliche Körper, sie sind Linien, kaum einer versteht, dass es Frauen sind, aber so hat Klimt auch gemalt.«
    »Den kenne ich nicht.«
    »Der mit dem Kuss. Aber ich vergleiche mich nicht mit ihm.«
    »Schade.«
    »Macht ihr denn noch was anderes außer Krawatten?«
    Es ist eine Krawattenfabrik, dumme Gans. Sie heißt Krawattenfabrik, weil dort Krawatten gemacht werden.
    »Nein, im Moment nur die, mehr nicht.«
    Freundlichkeit übt man mit Blicken, mit dem Tonfall der Stimme, und sie ist ein

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