Zementfasern - Roman
Fest kennengelernt, einem jener chaotischen Abende allseitiger Verbrüderung,
pizzica e comunione
genannt, wo Musiker aus dem Ort Tamburin spielen und die
pizzica
-Tarantella getanzt wird. Mimi war mit kritischen Vorbehalten hingegangen: »Heutzutage glauben alle, dass sie spielen können«, sie war ein paar Monate lang mit einem Schlagzeuger zusammen gewesen und hatte zu unterscheiden gelernt, ob das, was sie hörte, gute Musik oder wertlos war.
Der Anwalt war ein besessener Ethnograph, er hatte im Ausland studiert, dann war er nach Lecce zurückgegangen und hatte sich eine Kanzlei aufgebaut. Auf den unterschiedlichsten Gebieten hegte er künstlerische Ambitionen, drehte erbärmlich schlechte Dokumentarfilme, versuchte sich im Tamburinspielen und gab sich als Porträtfotograf aus, weil er sonntagmorgens über die Dörfer fuhr und heimlich Schnappschüsse von den alten Leuten auf der Piazza schoss. Dabei stellte er sich so plump an, dass er oft übel beschimpft wurde. Eben diese Unbeholfenheit und die Gerüchte über sein Leben hatten Mimi zu Beginn ihrer Verbindung angezogen.
Ihrer Mutter Rosanna gefiel dieser Mann. Mimi fragte sich, wie sie von dieser Beziehung erfahren hatte, aber es gibt Geschichten, die im Ort und in der Familie unmöglich verborgen bleiben können.
»Wer hat dir das erzählt.«
»Das weiß doch schon jeder.«
»Aber wer hat mich gesehen?«
»Keiner, aber man weiß es.«
»Ich hab’s niemandem gesagt, und du weißt alles. Hast du mit einer von meinen Kolleginnen geredet, Mama?«
»Er ist ein guter Junge, das ist alles, was ich weiß.«
»Was weißt du schon, Mama. Nichts weißt du, ob er gut ist oder verdorben. Nichts weißt du, nichts, gar nichts.«
»Ist er denn so, wie man von ihm sagt, ein anständiger Mann?«
»Ich hab schon kapiert, was mit ihm los ist. Er ist nichts wert, schön ist er, kann aber nicht schwimmen, tanzen will er und kann nicht tanzen, will Musik machen, kann aber nicht spielen. Einen Film will er drehen und kann nicht filmen. Er will vieles, aber er kann gar nichts.«
Zur Entschädigung fuhr er mit ihr auf einem Oldtimer-Motorrad über die Küstenstraße von Santa Cesarea über Castro, Andrano, Marina Serra bis nach Leuca. Die Fahrweise des Anwalts auf der kurvenreichen, atemberaubenden Strecke, die an der Steilküste entlangführte, war nicht gerade zurückhaltend, was Mimi erlaubte, Feigenbäume und
pajare
mit den Augen eines jungen Mädchens zu sehen. Helmtragen war verboten, damit man beim Fahren die salzige Luft aus dem Kanal von Otranto und den Ostwind spürte. Für Mimi gab es kein Gesetz.
»Bitte setz den Helm auf«, flehte der Mann ängstlich. »Ich kriege die Geldstrafe, wenn sie uns erwischen.«
»Rede du nur«, dachte Mimi, »dieses Paradies nehme ich mir hier und jetzt.« Und wenn das Motorrad auf den steilsten Steigungen stotterte oder bergab der Auspuff knallte, genoss Mimi, den Helm im Arm, die Haare gelöst und die Haut, an der der Wind zerrte, gerötet, lachend die Fahrt, und wer sie sah, hätte meinen können, sie sei in Ekstase.
Rosanna hoffte, dass Mimi den Anwalt-Motorradfahrer-Dokumentarfilmer nach Hause bringen würde, sie hatte sogar sein Foto aus der Zeitung ausgeschnitten und zeigte es allen, die nach ihrer Tochter fragten. »Mit diesem Mann ist sie zusammen, das ist einer, der in der Zeitung steht, der ist wichtig.«
In der lebhaften familiären Debatte über den Anwalt hatte auch Biagino Orlando, mit Künstlernamen Celestino, seine Meinung kundgetan.
Einen lapidaren Satz.
»Er trinkt nichts, er ist nichts wert.«
Der Anwalt brachte Mimi an abgelegene Orte. Oft liebten sie sich unterwegs, er hielt das Auto vor einer dunklen, geschlossenen Tankstelle an und hob sie gegen eine Mauer, wo die schwebende Mimi ihn fest umschlang, bis sie ihn mit ihren nervösen Beinen fast zerquetschte, so dass er mit kreischender Stimme rief: »Du tust mir weh!«
Er brachte sie in Buchenwälder, in Olivenhaine, wo sie sich auf der Motorhaube oder an einem Baum liebten. Es gefiel Mimi, an solchen Orten zu landen, von denen besonders einer sie verstörte und erregte, eine verlassene alte Zuckerfabrik.
Versteckt am Grund eines kleinen Tals, schien sie auf den ersten Blick aus Karst zu bestehen, etwas zwischen einer Schlucht und einem Vulkankrater. Die Fabrik war eine Schachtel aus Eisen und Blech, die Platten waren verrostet, und auf dem Kiesweg zu dem Gebäude lagen rostige Metallteile. Drinnen war eine süßliche Luft zurückgeblieben, jene
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