Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zementfasern - Roman

Zementfasern - Roman

Titel: Zementfasern - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach <Berlin>
Vom Netzwerk:
seelischer Zustand, der sich zwischen zwei verliebten Wesen herstellt oder zwischen zwei Menschen, die eine natürliche Empfänglichkeit für die Anmut der Dinge besitzen. Anmut. Eine Eigenschaft, die nicht notwendigerweise nur gebildete, aber auf jeden Fall begabte, mit Intelligenz begabte Menschen ohne Mühe erkennen lassen.
    Die Kerzen waren erloschen, die festliche Atmosphäre war verflogen. Die Farbe des Schlosses war jetzt das Halbdunkel. Zu dritt gingen sie die Treppe hinunter und zum Auto des Anwalts.
    »Bringen wir sie nach Hause?«, fragte Mimi in einem der wenigen Momente, in denen sie mit dem Anwalt allein war.
    »Wir nehmen sie mit zu uns.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Ihr mögt euch, scheint mir.«
    »Sie hat Witz, aber mehr nicht. Sie malt. Ich mache Krawatten.«
    »Das ist egal, wir spielen ein Spiel.«
    Bevor Mimi das Gespräch fortsetzen konnte, kam das Riesenmädchen dazu. Man stieg ins Auto, Aspasia saß hinten und strich Mimi mit einer seltsamen Liebkosung über die Wange.
    »Du bist sehr schön.«
    »Ich habe eine Tochter in deinem Alter«, sagte Mimi, sie hatte schroff sein wollen, aber es kam in einem doppeldeutigen Ton heraus, ihr Herzklopfen war stärker gewesen als der soeben ausgesprochene Satz, und das erhöhte die Zweideutigkeit.
    »Wir zeigen Aspasia einen geheimnisvollen Ort«, schlug der Anwalt mit verschwörerischer Miene vor.
    Mimi tat einen tiefen Atemzug: »Ich will nach Hause, wenn du nichts dagegen hast, morgen ist Palmsonntag, Arianna kommt, und ich möchte da sein.« Es war eine ungeschickte Ausflucht.
    Mehr Worte wurden auf dem Heimweg nicht gewechselt. Aspasia stieg stumm aus, und stumm blieb auch der Anwalt auf der ganzen Strecke über die Staatsstraße bis zum Capo.
    »Manche Pläne macht man besser zu zweit, findest du nicht?«
    »Es war nur ein Spiel.«
    »Eben, wir hätten es absprechen können.«
    »Aspasia ist kein Mädchen wie die anderen.«
    »Zwar nur indirekt, aber du beleidigst mich.«
    »Meine Güte, wie kompliziert du bist, Mimi.«
    »Aha, jetzt bin ich auch noch kompliziert, ich bin ja sowieso komisch, aber da du mich kennst und dich so toll findest, dass du glaubst, einen Dreier machen zu müssen, warum hast du dann keinen Jungen geholt statt eines Mädchens?«
    »Ich kann nicht mal einen nackten Mann am Strand ansehen, einer im Bett mit meiner Frau wäre unerträglich.«
    »Aber ich soll ein Mädchen ertragen, was? Mein lieber Anwalt, ich mag Jungen. Das nächste Mal fragst du deine Signora, was ihr gefällt und was nicht, und wenn wir was Neues ausprobieren, dann machen wir etwas, was uns beiden gefällt. Verstanden, werter Herr?«

Es war tiefe Nacht, als sie zurückkam, auf Zehenspitzen, um so wenig Lärm wie möglich zu machen. Sie war es gewöhnt, Leichtigkeit in den Füßen und eine von Müdigkeit beschwerte Seele zu haben, wenn sie im Dunkeln auf der löchrigen kleinen Straße zwischen den von Mauern umgebenen Gärten heimkehrte. Arianna saß zwar ein paar Kilometer weiter nördlich in einem Zug, trotzdem war es, als schliefe sie noch immer in ihrem Heim, im Zimmer neben Mimis.
    Still sein, nicht stören. Eine Regel, die nie gebrochen werden durfte.
    Doch was war das für eine Menge, eine Menschentraube, die sich um das Haus versammelt hatte. Etwa vierzig Leute, jemand schrie, als sie auftauchte:
    »Lauf, Mimi, Celestino hält sich für Jesus!«
    Biagio hatte sich im Haus verbarrikadiert und angefangen zu heulen, worauf die Nachbarn und die Ordnungskräfte herbeigelaufen waren. Er lallte betrunken, er sei Christus, auf die Erde herabgestiegen, um die Väter mit dem Schwert von den Söhnen zu trennen.
    »Armer Antonio, arme Rosanna«, sagte jemand. Niemand sagte Arme Mimi, während Celestino mit brechender Stimme brüllte wie ein Besessener. Wortwörtlich zitierte er aus dem Handbuch des belesenen Kirchendieners:
    »Mein Volk, was habe ich dir angetan?«
    Das waren die Worte Jesu auf dem Kreuzweg, der an eben diesem Abend in ihrer Pfarrgemeinde aufgeführt worden war.
    Eine Hauptrolle kam bei Celestino nicht in Frage, also war er auf einen zweitrangigen Platz verwiesen worden, einen der unwichtigen Zenturionen, weil er sich obendrein geweigert hatte, Jesus auszupeitschen, und sei es auch nur im Spiel.
    Gleich nach dem Ende des Kreuzwegs war Celestino nach Hause gegangen, ausgerüstet nach alter Gewohnheit, mit einer Flasche der »Perücke«, unter der Tunika gut verborgen. Schon bald hatte er angefangen, verrücktzuspielen, er schrie, schlug alles kurz

Weitere Kostenlose Bücher