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Zementfasern - Roman

Zementfasern - Roman

Titel: Zementfasern - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach <Berlin>
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und gab mit einem Löffel Kaffeepulver hinein.
    »Warum benutzt du keinen Dosierer?«
    »Weil gemahlener Kaffee wie Gipspulver ist oder wie Lehm, er muss mit den Händen geformt werden. Ohne Zwischenträger.« Und während sie das sagte, war der Filter schon gefüllt, ein kleiner Berg brauner Körnchen ragte über die Maschine hinaus.
    »Durch so viel Kaffee wird das Wasser doch niemals hindurch kommen.«
    »Es genügt, wenn man ihn nicht mit dem Löffel zusammenpresst, am besten vergisst du den Löffel ganz, bis der Kaffee aus dem Röhrchen herausfließt.« Sie schraubte das Oberteil an die Espressokanne und stellte die Flamme sehr niedrig ein, »weil er sanft kochen muss«, eine Dampfwolke nach der anderen, so wird der Kaffee schmackhafter.
    Mimi hatte keine Hand frei, sie schüttelte einen Pantoffel ab und massierte mit der Fußsohle die Katze, die mit halbgeschlossenen Augen zu schnurren begann.
    Der Raum füllte sich mit dem Kollern der Espressokanne und mit ihrem Duft, der junge Mann war hingerissen, aber auch eingeschüchtert von diesen kleinen Details des Alltags, die eines nach dem anderen das Bild von Mimi zusammensetzten.
    Mimi erzählte dem jungen Arbeiter nicht viel. Immer wieder versuchte er, Informationen aus weit zurückliegenden Zeiten zu bekommen, ein verborgenes Geheimnis, einen Freund aus der Vergangenheit oder die ganze Wahrheit über Pati und die Geburt von Arianna. Aber Mimi lockte ihn auf falsche Fährten, drehte die Gesprächsthemen um, führte ihn auf Wege, auf denen sie ihn leichter beherrschen konnte.

In der Osternacht war Biagino Orlando, mit Künstlernamen Celestino, die äußerst heikle Aufgabe anvertraut, während der Messe für das Festgeläut der Glocken zu sorgen. Das vereinbarte Signal war ein künstlicher Huster von Don Oronzo während der Wandlung. Der andere entscheidende Augenblick für das Läuten kam nach dem »Ite missa est«. Für diese Aufgabe war Celestiono aus der Gruppe der Nichtsnutze, die sich auf den Treppenstufen zur Kirche betranken und in der Pfarrei herumlungerten, ausgelost worden.
    Wenn Don Oronzo nicht da war, wurden die wildesten Turniere von Padrone und Sotto in die Sakristei verlegt. Musste der Pfarrer, der Kinderlähmung gehabt hatte und ein Bein, das nicht gehorchen wollte, sich im oberen Saal Massagen unterziehen, war die ganze Kirche in der Hand von Leuten wie Pippo der Bestie, Cosimino dem Pilz, Lillino dem Rüpel. Bis tief in die Nacht wurde gespielt, wer sich betrank, war häufig so übel zugerichtet, dass er die Treppe hinunterrollte und in der Dunkelheit verschwand.
    Biagino saß versteinert vor den bunten Knöpfen, deren genaue Reihenfolge für das Läuten der Glocken er auswendig gelernt hatte. Blauer Knopf, roter Knopf, dann wieder blau. Das Läuten darf nicht weniger als drei und nie länger als fünf Minuten dauern. Es war eine heilige Nacht, die Leute sollten das erfahren, nicht erleiden.
    Biagino hatte keine Vorstellung von dem Pandämonium hinter seinem Rücken. Es herrschte ein gewaltiger Lärm, und wiederholt versetzte ihm jemand hinterrücks eine Kopfnuss. Biagino hielt durch, in seinem Inneren spürte er Kräfte, die aus lang vergangenen Zeiten kamen, um ihm zu helfen, und je brutaler der Schlag war, desto mehr spürte er diese geheimnisvolle Energie in sich wachsen. Die Schläge wurden häufiger, jetzt waren es nicht nur Ohrfeigen und Boxhiebe, man wütete auch mit einer Flasche Biancosarti gegen ihn. Den gelblichen Likör hatten sich die verschiedenen anwesenden Celestinos bereits hinter die Binde gekippt, die Atmosphäre war bedrohlich, die Gesichter vom Rausch rostig verfärbt. Da gesellte sich ein Neuankömmling zu der erbärmlichen Schar, die Celestino verhöhnte, Vito Bruschetta, ein vierschrötiger, dicker Junge, unnatürlich kindliche Gesichtszüge, zehn Jahre psychiatrische Anstalt in der Schweiz, aber ein freier Mann in der Region Otranto.
    Biagino zuckte nicht mit der Wimper, er fühlte die Wut in seinem Inneren explodieren, empfand aber auch eine tiefe Demütigung.
    Vito Bruschetta hatte denselben Nährboden in sich aufgenommen wie Biagino, auch er hatte in seiner Schweizer Kindheit auf Luft herumgekaut und geredet, ohne dass ihm jemand zuhörte. Er war eines jener einsamen, ausgeschlossenen Kinder in einer großen, kalten Stadt mitten in Europa. Aufgewachsen war er in Bern, unzählige Male war er in den Fluss gestiegen, der durch die Stadt fließt, und hatte sich kilometerweit davontragen lassen. Im Sommer badeten

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