Zementfasern - Roman
ein paar Tage wie Touristen in ihrer Heimat zu verbringen. Ihre unerträgliche Arroganz gegenüber denen, die geblieben waren. Wie sie ein paar deutsche Worte murmelten, um mit den Teutonen, die hier Ferien machten, simpelste Gespräche anzuknüpfen und allen anderen zu zeigen, wie weltgewandt sie waren. Solche Typen hatte sie zu Dutzenden beobachtet, Männer, die alles erlebt, die gelernt und gelitten und Geld nach Hause geschickt hatten, nur sie. Und jetzt würde einer von ihnen das große Fest ruinieren, das Arianna und ihre Freunde den ganzen Sommer über geplant hatten.
Es gibt im Leben eine Schönheit, die einen Blitzschlag lang andauert. Sie kommt nur ein einziges Mal, in einem unerwarteten Moment. Sie ist eine Harmonie, die sich auf den Augen, in den Vertiefungen des Gesichts oder in einer bestimmten Weise der Bewegung niederlässt. Manchen geschieht es in der Jugend, anderen im Alter, wenn die Haare grau geworden sind.
Arianna hatte immer als »bedda vagnuna«, als ein schönes Mädchen gegolten, des Ruhms der Mimi Orlando würdig. Ihr biegsamer Körper, die langen Beine, die Haut, die im Sommer zu Honig wurde, und riesengroße Augen. Als sie jetzt die Straße überquerte, um dem Mann entgegenzugehen, die Züge zu einer Grimasse verzerrt, war Arianna nicht nur das schöne Mädchen vom Salento, sondern die Verkörperung der Schönheit: Verdruss, die Erwartung, auf Überheblichkeit zu stoßen, und ein kämpferisches Marschieren auf den Mann zu. Schönheit liegt in der Bewegung, sie liegt in dem Raum, den man einnimmt, und in der Art, wie man ihn einnimmt. Arianna durchquerte den Raum mit der kriegerischen Haltung einer zum Angriff marschierenden Soldatin und dem unschuldigen Ausdruck einer Braut auf dem roten Teppich.
Der Mann hatte eine olivenfarbene Haut, er schien sonnengebräunt, trug ein weißes Hemd und ein Halstuch. Er erinnerte Arianna an ein berühmtes Foto von Marcello Mastroianni, das sie vor einigen Jahren in einer Ausstellung gesehen hatte: Der Schauspieler kniete auf einer weißen Sandfläche, im Hintergrund undeutliche kleine Gestalten, sein Gesichtsausdruck war bekümmert, die graumelierten Haare von der Meeresbrise zerzaust, ein schwarzes Tuch zwang den Hals in eine unnatürliche Position, schließlich der Blick, ein Schatten über anderen Schatten, den Kanten des Gesichts. Aber dann die Hände, ein Misston, es waren nicht die Hände eines Filmstars, sondern eines Bauern. Plump, deformiert, mit kurzen Fingern, eckigen Nägeln. Diese Details überschnitten sich jetzt mit dem, was sie sah. An dem geheimnisvollen Verweigerer beeindruckte sie die große schwielige Hand, die sich zu der herablassenden Geste geöffnet hatte. Die Schatten dieses Gesichts, die Falten, die wie spielerisch für ein Künstlerfoto gekräuselten Haare waren jedoch echt.
»Entschuldigung …«
»Kommen Sie nicht näher, dies ist Privatgrund.«
»Ich komme in friedlicher Absicht«, sagte Arianna ironisch, weil sie sich überlegt hatte, dass sie mit dieser Haltung leichtes Spiel haben würde. Ironie und Freundlichkeit sind zwei Siegerkarten.
»Von wegen friedlich, seit drei Tagen macht ihr hier Lärm.« Und dann: »Nicht mal in meiner Heimat habe ich Frieden.«
»Typisch, das ist es, das Selbstmitleid des Emigranten«, dachte Arianna. Deren unerträgliche Neigung, sich zum Opferlamm zu stilisieren, der übliche Auftakt zu einer kleinen Dosis Lebensweisheit, einer fesselnden Anekdote über die erste, in irgendeinem dunklen Land des Nordens unter freiem Himmel verbrachte Nacht. Oder über die Fahrt in einem nach Kerosin stinkenden Zugabteil. Alle Voraussetzungen für eine rührselige Emigrationsgeschichte waren vorhanden.
Der Dialog zwischen dem Abbild von Mastroianni am Strand und der Verkörperung der Schönheit war konfus, die Tonlagen verzerrten sich. Ariannas Ironie wurde zu Sarkasmus, die Unnachgiebigkeit ihres Gegners verwandelte sich in Ungezogenheit.
Dann fielen zwei Worte, ein Name und ein Nachname, eine Zauberformel.
»Arianna Orlando.«
Und sie wiederholte es, falls er nicht zugehört hatte:
»Ich heiße Arianna Orlando. Obwohl es kein Vergnügen war, Sie kennenzulernen, habe ich wenigstens den Anstand, mich vorzustellen.«
Der Mann war erstarrt, wer die Szene von weitem beobachtete, konnte meinen, ihm sei eine Pistole an die Schläfe gesetzt worden.
»Arianna Orlando. Und wie heißen Sie?«
»Unwichtig.«
»Ihr Name, bitte.«
»Hören Sie, hängt euch auf, wo ihr wollt, aber ihr müsst ein Band
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