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Zementfasern - Roman

Zementfasern - Roman

Titel: Zementfasern - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach <Berlin>
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Bilder im Asbeststaub oder in den Strömen des Blauasbests, auf die er Linien zeichnete, die nur er verstand.
    Patis visionäre Begabung besaß der junge Arbeiter nicht, doch als er eines Tages von der Ternitti herunterkam, behauptete er, die Wolken, die man dort oben sah, glichen dem Schaum des gärenden Weins. Und beim Geruch des Mosts, der zu Wein wird, und dem rostfarbenen Schaum, der die Augen blendet, hatte sich Mimi verliebt.
    Mimis Lippen waren kein geheimnisvolles Monogramm, keine Mondfinsternis, ihre Brüste waren keine Kamelien in den Händen der Nacht und ihre Beine kein Aufeinandertreffen zweier Blitze, Magnesiumexplosionen. Mimi war nicht die Frau, die von Dichtern geliebt wird. Sie war zu menschlich und zu wirklich, um von irgendeinem Schreiberling verklärt zu werden. Sie war nicht die Frau, die man Versen ausliefern konnte. Manchmal ist nichts beleidigender für eine Frau als ein Gedicht.
    Das war Mimi.
    Sie hätte einem Bauernkind geholfen, hundertblättrige Rosen und Veilchen auf eine bunte Pappe zu zeichnen. Aber sie hätte es mit Hingabe getan, nicht aus Spaß und Leichtfertigkeit, sie war unfähig, dem Rest der Welt auch nur einen Hauch von Entgegenkommen zu zeigen. Mimi war so, wie man sie sah, wenn sie an Spätnachmittagen unter einem polierten Himmel und Wolken, die mit Platinadern durchzogen waren, von den Krawatten nach Hause ging, überquellend von Geheimnissen, und jedes dieser Geheimnisse war mit Händen zu greifen. Mit jeder Nacht, in der sie sich weiter von der Jugend entfernte, spürte Mimi den Geschmack des Asbests in der Kehle aufsteigen, bis zur Zungenspitze, und sie konnte die weißen Asbestfibern, die alle Männer in ihrer Umgebung zerfressen hatten, ganz deutlich sehen. Sie sah, wie diese blendendweißen Schneckenfühler, vom Feuer glühend, die italienischen Jungen von Zürich in die Dunkelheit der ewigen Ruhe geleitet hatten.
    In den Monaten ihrer Beziehung zu dem jungen Arbeiter wurde Mimi immer mutiger, immer entschlossener, den Stimmen der Vorfahren keinen Widerstand entgegenzusetzen, und wenn sie den Rauch der Kamine roch, wo Olivenzweige verbrannten, blieb sie stehen, schloss die Augen und hörte ihren Stimmen zu.
    Mimi hatte keine Angst, wenn sie die lebende Weihnachtskrippe von Tricase besuchte und allein mit Arianna zwischen vollständigen Familien mit Kindern in der Schlange wartete. Dezember für Dezember, Weihnachten für Weihnachten versäumte sie keine einzige Ausgabe der Krippe von Tricase. Auf den tausend Quadratmetern eines ganzen Berges standen, umgeben von Eichen und Macchia, die Hütten, in denen die Handwerkskünste der Vergangenheit vorgeführt wurden. Männer und Frauen in historischen Trachten, vom Feuer der Kamine gewärmt und von Ölfackeln beleuchtet, und zwischen ihnen spazierten ausschließlich kinderreiche Familien, Mütter und Väter. Dort in Tricase fragte Arianna, damals noch ein kleines Mädchen, ihre Mutter einmal, warum sie beide immer allein waren, und dort begriff Mimi, wie sehr sie sich an ihre menschenwimmelnden Einsamkeiten gewöhnt hatte.

Eines Tages kam der junge Arbeiter etwas zu früh im Hause Orlando an.
    Mimi ließ ihn eintreten, sie trug eine Schürze und einen schwarzen Rock mit ein paar Küchenflecken, Pantoffeln, und ihre Beine waren nackt. Sie bot ihm Kaffee und einen Stuhl vor dem Herd an, wo ein Topf voller Lumpen kochte, von dem weißer Dampf aufstieg. Mimi hatte ihre Haare mit zwei Bleistiften hochgesteckt, eine Hand rührte mit dem Holzlöffel im Topf, die andere machte Feuer unter der Espressokanne, auf dem Fußabtreter aus Stroh vor dem Herd räkelte sich bäuchlings eine getigerte Katze und wollte spielen.
    Das Vorbereiten der Espressokanne gestaltete sich nur dem Anschein nach träge und mühevoll. »Kaffee muss sehr langsam gekocht und dann in aller Ruhe getrunken werden«, hatte Mimi gesagt. Eine Selbstverständlichkeit, doch die Anmut, mit der dieser Satz ausgesprochen wurde, der Klang der Stimme, die Musik der sorgfältig betonten Worte auf Italienisch klangen lange im Raum nach. Seit Mimi die Beziehung zu dem jungen Arbeiter eingegangen war, hatte sie aufgehört, Dialekt zu sprechen. Er verstand das nicht, aber für Mimi war es ein Ausdruck von Liebe und Respekt.
    Dann hatte sie die Espressokanne Stück für Stück zusammengesetzt, eine dunkel angelaufene Maschine, die nie mit Spülmittel gewaschen worden war, nur mit kaltem Wasser. Sie füllte das Unterteil mit sehr wenig Wasser, legte den Filtereinsatz darauf

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