Zentauren-Fahrt
es völlig unbrauchbar gemacht hatte. Mit einem wütenden Grunzen hob er das Blatt auf – und die Tinte floß herab, bildete eine Pfütze auf der Tischoberfläche, zog sich zusammen, bekam Beinchen und krabbelte davon. Wie ein fetter Käfer sprang sie vom Tisch und löste sich plötzlich in Dampf auf. Es war eine Ill u sion gewesen. Die Königin hatte sich bereits revanchiert. Gerade in Kleinigkeiten konnte sie außerordentlich häßlich sein. Dor dur f te sich nicht anmerken lassen, daß er wütend war, weil er sich hatte reinlegen lassen – und das wiederum machte ihn wütender denn je.
»Ich verstehe wirklich nicht, warum man ein Mann sein muß, um Xanth regieren zu können«, sagte das Bild. Das war natürlich schon immer ihr wunder Punkt gewesen. Sie war eine Zauberin, deren Talent anderen Magiern in nichts nachstand, aber das G e setz, beziehungsweise die Sitte Xanths, ließ es nicht zu, daß eine Frau König wurde.
»Ich lebe im Land Xanth«, sagte Dor langsam, während er gleichzeitig die Worte niederschrieb und die Königin mit seiner Höflichkeit, wie er hoffte, beleidigte. »Es unterscheidet sich von Mundania dadurch, daß es in Xanth Magie gibt, in Mundania aber nicht.« Erstaunlich, wie kreativ er werden konnte, wenn es gegen irgend etwas ging! Er hatte bereits einundzwanzig Wörter!
Dor spähte unter einer Augenbraue seitlich auf das Bild. Es war wieder zu einem ganz gewöhnlichen Gemälde geworden. Gut! Die Königin hatte sich verzogen. Wenn sie ihn nicht mit krabbelnden Illusionen ärgern konnte, verlor sie schnell das Interesse an ihm.
Doch schon ließ auch sein Einfallsreichtum wieder nach. Er stand vor der unmöglichen Aufgabe, einhundert Wörter zu schre i ben, sechsmal soviel, wie er bereits geschrieben hatte. Vielleicht auch nur fünfmal soviel: Höhere Mathematik war auch nicht ger a de seine Stärke. Ein beachtlicher Bruchteil vom Ganzen, immerhin – aber doch eben nicht mehr als nur ein Bruchteil. Was für eine gräßliche Arbeit!
Irene kam ins Zimmer spaziert. Sie war die Tochter von König Trent und Königin Iris, die Palastgöre, und oft eine schreckliche Plage – aber manchmal eben auch nicht. Es tat Dor zwar weh, es zugeben zu müssen, aber Irene war ein außerordentlich hübsches Mädchen, und das machte die Sache noch schwieriger; denn so war es unangenehm, mit ihr zanken zu müssen. »Hallo Dor«, sagte sie und hüpfte probehalber einen Satz nach vorn. »Was machst du denn so?«
Dor, den ihr Hüpfen einen Augenblick abgelenkt hatte, vergaß die scharfe Antwort, die er ihr hatte geben wollen. »Tu doch nicht so«, murrte er. »Du weißt doch ganz genau, daß deine Mutter es leid geworden ist, hinter mir herzuschnüffeln, also hat sie dich an ihrer Stelle geschickt.«
Irene stritt es gar nicht ab. »Na ja, irgend jemand muß doch hinter dir herschnüffeln, Blödmann! Ich würde auch lieber draußen mit Zilch spielen.«
Zilch war eine junge Seekuh, die man ihr zum fünfzehnten G e burtstag herbeigezaubert hatte. Irene hatte sie im Schloßgraben plaziert und mit ihrer Magie das Wachstum von Mauerblümchen beschleunigt, damit sie eine Pflanzenmauer bildeten, die Zilch beim Äsen vor den anderen Grabenungeheuern abschirmte. Für Dor war Zilch nichts als ein riesiger, unförmiger Klumpen von einem Tier, aber alles, was Irene ablenken konnte, besaß doch einen gewissen Wert. In mancherlei unangenehmer Hinsicht schlug sie nämlich nach ihrer Mutter.
»Dann geh doch und spiel mit der Kuh«, schlug Dor ihr verzwe i felt vor. »Ich verrat’s auch niemandem.«
»Nein, eine Prinzessin darf ihre Pflichten nicht vernachlässigen.« Irene nahm das Wort »Pflichten« immer nur in den Mund, wenn es darum ging, etwas zu tun, was sie ohnehin wollte. Sie nahm sein Aufsatzblatt in die Hand.
»He, gib mir das wieder!« protestierte Dor und griff danach.
»Du hast ihn doch gehört, Gör!« meinte das Papier. »Gib mich zurück!«
Das machte Irene nur noch störrischer. Sie wich zurück, ohne das Blatt loszulassen, und überflog das Geschriebene. Ihre Brust bebte vor mühsam unterdrücktem Lachen. »He, das ist aber was! Hätte nie gedacht, daß man ›Mundania‹ derart verkehrt schreiben könnte!«
Dor sprang mit glühendem Gesicht auf sie zu, doch sie wich ihm wieder tänzelnd aus und versteckte das Blatt hinter ihrem Rücken. Das stellte sie sich unter Unterhaltung vor: ihn zu ärgern, um ihn auf irgendeine Weise zu einer Reaktion zu zwingen. Er versuchte, um sie herumzulangen – und
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