Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
Gutenachtgeschichten, einen kindlich bemalten Stein als Briefbeschwerer und einen Stapel frischer Wäsche. Ich hörte das Spiel der Patriots am Sonntagnachmittag, Amelias MP 3s aus den Donut-Lautsprechern und das Schlurfen deiner nackten Füße im Flur.
Ich musste an fünfzig unterschiedlichen Häusern vorbeigekommen sein. Hier und da brannte ein Licht – für gewöhnlich oben und für gewöhnlich im Zimmer eines Teenagers, dessen Kopfumriss vor dem blauen Flackern eines Computermonitors zu sehen war. Oder ein Paar war vor dem Fernseher eingeschlafen. Auch in einigen Badezimmern brannte noch Licht, um für ein Kind die Monster zu vertreiben. Dabei war es egal, ob es sich um ein weißes oder ein schwarzes Viertel handelte, ob die Leute arm oder reich waren … Häuser sind wie Zellwände: Sie verhindern, dass unsere Probleme in das Leben anderer sickern.
Das letzte Viertel, das ich in jener Nacht besuchte, war dasjenige, das meinen Wagen und mein Herz anzog wie ein Magnet. Ich parkte vor meiner eigenen Einfahrt und schaltete vorher die Scheinwerfer aus, um meine Anwesenheit nicht zu verraten.
Die Wahrheit war: Charlotte hatte recht. Je mehr Schichten ich fuhr, desto weniger Zeit verbrachte ich mit dir. Früher hatte ich dich schlafend in den Armen gehalten und zugeschaut, wie sich die Träume auf deinem Gesicht abmalten; nun liebte ich dich eher von ferne. Ich hatte mich seit einer Weile in die Arbeit gestürzt und nur noch die Bürger von Bankton geschützt, anstatt das Gleiche auch für dich zu tun. Diese Aufgabe war Charlotte zugefallen. Das war ein mühseliger Alltag, und ich war durch die Klage davon abgeschnitten worden und musste feststellen, dass ich von dir nichts mehr mitbekam.
Ich schwor mir, dass sich das nun ändern würde. Mein Besuch bei Booker, Hood and Coates war nur der erste Schritt gewesen, und bald würde ich wesentlich mehr Zeit mit dir verbringen. Ich würde eine ganz neue Beziehung zu dir aufbauen.
Just in diesem Augenblick blies der Wind durch das offene Fenster meines Wagens und brachte draußen das Papier zum Knistern, in das die Backwaren gewickelt waren. Das erinnerte mich daran, warum ich heute Nacht hergekommen war. In einem Karren lagen die Kekse, Kuchen und Teilchen, die ihr in den letzten Tagen gebacken hattet.
Ich lud sie alle ein. Es waren gut dreißig Pakete, alle mit grünem Band zugeschnürt und einem Herzen darauf. Du hattest die Herzen ausgeschnitten; das sah ich. Süßes aus dem Crèmeladen stand darauf. Ich stellte mir vor, wie deine Mom hingebungsvoll den Teig knetete, wie du vorsichtig ein Ei aufschlugst und Amelia einen Knoten im Schürzenband aufknibbelte. Ich kam mehrmals die Woche her. Die ersten drei, vier Portionen aß ich selbst; den Rest legte ich auf die Treppe eines Obdachlosenheims.
Ich griff in meine Börse und holte alles Geld heraus. Es stammte von den Zusatzschichten, die ich angenommen hatte, um nicht nach Hause fahren zu müssen. Schein für Schein stopfte ich es in den Schuhkarton. Dann riss ich, ohne lange nachzudenken, eines der Herzen ab und schrieb die Nachricht eines zufriedenen Kunden darauf: Ich finde sie alle großartig .
Morgen würdest du das lesen. Alle drei würdet ihr ganz aufgeregt sein und annehmen, der anonyme Schreiber meine das Gebäck und nicht die Bäcker.
Amelia
An einem Wochenende, auf dem Rückweg von Boston, meinte meine Mutter plötzlich, sie müsste die neue Martha Stewart werden. Zu diesem Zweck fuhren wir einen riesigen Umweg über Norwich, Vermont, um bei King Arthur Flour eine ganze Wagenladung von industriellen Backutensilien und speziellen Mehlsorten zu kaufen. Du warst die ganze Zeit über stinkig, weil du den Vormittag im Kinderkrankenhaus verbracht hattest, wo dir neue Stützen angepasst werden mussten. Die Dinger waren heiß und steif, und sie hinterließen blaue Flecken, wo das Plastik sich in die Haut drückte. Zwar versuchten die Orthopädietechniker immer, das zu korrigieren, doch irgendwie schien es nie zu klappen. Du wolltest einfach nur nach Hause und sie ausziehen, doch meine Mutter kam mit einer Bestechung, die wir beide nicht ablehnen konnten – einem Besuch im Restaurant.
Für viele mochte das ja nichts Tolles sein, für uns aber schon. Wir aßen nicht oft auswärts. Meine Mom hat immer gesagt, dass sie ohnehin besser kochen könne als die meisten Küchenchefs, was auch stimmte, doch eigentlich sagte sie das nur, damit wir uns nicht ganz so sehr als Loser fühlten. Denn die Wahrheit sah anders
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