Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
allerdings war das nichts Besonderes. Cops arbeiteten, wann sie mussten, nicht, wann sie wollten – oder zumindest hat er mir das immer gesagt. Der Unterschied zu früher war nur, wenn er mal da war, konnte man die Luft zwischen ihm und meiner Mutter schneiden.
Vielleicht war das alles Teil eines ausgefeilten Plans, um mich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Mein Vater würde pünktlich auflaufen, um mich zum Kieferorthopäden zu fahren; meine Mutter würde ihren Käsekuchen fertig backen (ohnehin mein Lieblingskuchen), und er würde Teil eines großen Festessens sein, das solche Dinge einschloss wie gebutterten Mais, karamellisierte Äpfel und Kaugummi – lauter verbotene Speisen, die auf einer Liste am Kühlschrank mit einem großen X markiert waren – und ausnahmsweise wäre ich heute Abend mal diejenige, die alle anstaunten.
Ich setzte mich an den Küchentisch und scharrte mit meinen Turnschuhen über den Boden. »Amelia«, seufzte meine Mutter.
Quietsch.
»Amelia, um Himmels willen. Ich bekomme Kopfschmerzen davon.«
Es war vier Minuten nach vier. »Hast du nicht etwas vergessen?«
Sie wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. »Nicht dass ich wüsste …«
»Na gut. Wann fährt Daddy mich hin?«
Sie starrte mich an. »Liebling«, sagte sie in einem süßlichen Tonfall, bei dem gleich klar war, dass etwas Furchtbares kommen würde. »Ich weiß nicht, wo dein Vater ist. Er und ich … wir haben nicht …«
»Mein Termin«, platzte ich heraus, bevor sie weiterreden konnte. »Wer fährt mich zum Kieferorthopäden?«
Einen Moment lang verschlug es ihr die Sprache. »Du machst Witze.«
»Nach drei Jahren? Wohl kaum.« Ich stand auf und stach mit dem Finger nach dem Wandkalender. »Heute wird mir die Klammer abgenommen.«
»Du wirst nicht in Rob Reeces Praxis gehen«, erklärte meine Mutter.
Okay, dieses kleine Detail habe ich bis jetzt unerwähnt gelassen: Der einzige Kieferorthopäde in Bankton – der, zu dem ich immer gegangen bin – war zufälligerweise mit der Frau verheiratet, die von meiner Mutter verklagt wurde. Zugegeben, aufgrund der ganzen Dramatik hatte ich seit September ein paar Termine bei ihm versäumt; diesen Termin würde ich jedoch in jedem Fall wahrnehmen. »Nur weil du auf einem Kreuzzug bist und Pipers Leben ruinierst, muss ich doch nicht meine Klammer tragen bis ich vierzig bin, oder?«
Meine Mutter fasste sich an die Schläfen. »Nicht bis du vierzig bist. Nur so lange, bis wir einen anderen Kieferorthopäden gefunden haben. Bitte, Amelia, ich habe es einfach vergessen. In letzter Zeit hatte ich ja auch viel zu tun.«
»Ja, du und jeder andere Mensch auf diesem Planeten!«, schrie ich. »Weißt du was? Nicht alles dreht sich nur um dich und das, was du willst, auch wenn alle Mitleid mit dir und deinem erbärmlichen Leben mit einem erbärmlichen …«
Sie schlug mir mitten ins Gesicht.
Meine Mutter hatte mich noch nie geschlagen. Noch nicht einmal, als ich mit zwei Jahren mitten in den Verkehr gerannt bin; noch nicht einmal, als ich Nagellackentferner auf den Wohnzimmertisch gekippt und ihn damit ruiniert habe. Meine Wange schmerzte, aber nicht so sehr wie meine Brust. Mein Herz hatte sich in ein Gummiknäuel verwandelt, und die Gummis rissen einer nach dem anderen.
Ich wollte sie so sehr kränken, wie sie mich gekränkt hatte, und so spuckte ich ihr die Worte ins Gesicht, die mir gallebitter in der Kehle brannten. »Ich wette, du wünschst dir, auch ich wäre nie geboren worden«, sagte ich und rannte aus dem Haus.
Als ich in Robs Praxis eintraf (ich hatte ihn nie Dr. Reece genannt), war ich schweißüberströmt und knallrot im Gesicht. Ich glaube, ich war noch nie zuvor fünf ganze Meilen in meinem Leben gelaufen, aber genau das hatte ich gerade getan. Ich war praktisch der Duracell-Hase, und das weniger, weil ich möglichst schnell zum Kieferorthopäden wollte, als vielmehr, weil ich einfach von meiner Mutter wegwollte. Keuchend stapfte ich zum Empfang, auf dem ein schicker Computer stand. Die Arzthelferin starrte mich an – und nicht nur sie.
»Amelia«, sagte sie. »Was machst du denn hier?«
»Ich habe einen Termin.«
»Wir haben alle angenommen …«
»Was haben Sie angenommen?«, unterbrach ich sie. »Dass ich genauso eine Idiotin bin wie meine Mutter?«
Plötzlich trat Rob in den Empfang und zog sich seine Gummihandschuhe aus. Früher hatte er sie immer für Emma und mich aufgepustet und kleine Gesichter daraufgemalt. Die Finger sahen
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