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Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Titel: Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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durch die Leitungen rauschen. Leitungen, die der Klempner im vergangen Jahr viermal hatte flicken müssen, weil sie immer wieder undicht geworden waren. Er hatte gesagt, Säure sei die Ursache dafür; damals war mir das noch völlig unbegreiflich gewesen.
    Erbrochenes enthielt Säure.
    Ich ging nach oben und in das Schlafzimmer, das ihr beiden Schwestern euch geteilt habt. Wenn Amelia bulimisch war, hätten wir dann nicht bemerken müssen, dass Essen verschwindet? Ich setzte mich an den Schreibtisch und kramte in den Schubladen, fand aber nichts außer Kaugummi und ein paar alten Schultests. Amelia brachte stets die besten Noten mit nach Hause. Wie konnte ein Kind, das so hart arbeitete und so viele Dinge richtig machte, so weit vom Weg abkommen?
    Die unterste Schublade von Amelias Schreibtisch wollte nicht richtig zugehen. Ich holte die Schublade heraus und fand eine Kiste mit Plastikbeuteln voller Gebäck. Ich drehte die Kiste in meinen Händen, als hätte ich ein seltenes Artefakt gefunden. Es war eigentlich Blödsinn, so etwas hier zu horten. Unsere Speisekammer war voll davon, und warum hatte Amelia sich auch noch die Mühe gemacht, das Zeug unter der Schublade zu verstecken? Dann wandte ich mich dem Bett zu. Ich zog die Laken ab, fand aber nur den alten mausgrauen Stoffelch, mit dem Amelia schon geschlafen hatte, als Charlotte und ich zusammengekommen waren. Ich kniete mich neben das Bett und fuhr mit der Hand unter der Matratze entlang.
    Ich holte händeweise Zeug hervor: Schokoriegelpapier, leere Kekspackungen, Einwickelpapier. Wie Plastikschmetterlinge flatterten sie vor meine Füße. Näher am Kopfende fanden sich Seiden- BH s, an denen noch die Preisschilder hingen und die für Amelia viel zu groß waren, Make-up mit Etiketten von CVS und Modeschmuck, der noch in den Plastikhalterungen für die Verkaufsständer hing.
    Ich setzte mich kraftlos auf den Boden. Da lagen sie, all die Beweise, die ich nicht hatte sehen wollen.

Amelia
    Ich war triefnass in ein Handtuch gewickelt und wollte eigentlich bloß noch in meinen Pyjama schlüpfen, mich ins Bett legen und so tun, als hätte es diesen Tag nie gegeben; doch mitten in meinem Zimmer auf dem Boden saß mein Vater. »Wenn es dir nichts ausmacht. Ich bin nicht angezogen und …«
    Er drehte sich um, und da sah ich alles vor ihm auf einem Haufen. »Was ist das?«, fragte er mich.
    »Okay, ich bin also ein Schwein. Ich werde mein Zimmer putzen und …«
    »Hast du die gestohlen?« Er hielt eine Handvoll Kosmetik und Schmuck in die Höhe. Es waren furchtbare Dinge – Make-up, das ich mir nie ins Gesicht schmieren würde, Schmuck für alte Damen –, aber irgendwie hatten sie sich in meine Tasche geschlichen und mir das Gefühl gegeben, ich sei ein Superheld.
    »Nein«, antwortete ich und schaute meinem Vater in die Augen.
    »Und wofür ist der BH ?«, fragte er. » 36D ?«
    »Für eine Freundin«, antwortete ich und erkannte zu spät, dass ich mich verplappert hatte: Mein Vater wusste, dass ich keine Freundinnen hatte.
    »Ich weiß, was du tust«, sagte er und stand schwerfällig auf.
    »Na, dann kannst du es mir ja vielleicht sagen, denn ich weiß wirklich nicht, warum ich hier verhört werde, während ich friere und triefnass …«
    »Hast du dich erbrochen, bevor du unter die Dusche gegangen bist?«
    Mir schoss das Blut in die Wangen. Es war die perfekte Zeit gewesen, denn das Rauschen des Wassers hatte das Würgen übertönt. Ich hatte das zu einer ausgefeilten Methode entwickelt. Aber ich versuchte, das lachend abzutun. »Oh ja, klar. Das mache ich vor jeder Dusche. Deshalb trage ich ja auch Größe 11 , während sonst alle in meiner Klasse …«
    Er trat einen Schritt vor, und ich zog das Handtuch enger um meinen Körper. »Hör auf zu lügen«, sagte er. »Hör einfach … auf.« Mein Vater packte mein Handgelenk und riss meinen Arm zu sich. Ich glaubte zuerst, er wollte mir das Handtuch wegreißen, aber das wäre nicht ansatzweise so demütigend gewesen wie das, was er tatsächlich zu sehen bekam: meinen Unterarm mit den Leitern von Narben.
    »Sie hat gesehen, wie ich es getan habe«, sagte ich, und ich musste nicht erklären, wovon ich sprach.
    »Herrgott noch mal«, donnerte mein Vater. »Was hast du dir nur dabei gedacht, Amelia? Wenn es dir so schlecht gegangen ist, warum bist du dann nicht zu uns gekommen?«
    Ich möchte wetten, er kannte die Antwort darauf.
    Ich brach in Tränen aus. »Ich wollte ihr nicht wehtun. Ich wollte nur mir selbst

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