Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
herausgefunden hat. Das hätte ich auch allein und kostenlos geschafft.
Das Problem war nur, dass mein eigentlicher Job mir immer wieder in die Quere kam.
Kaum hatten wir die O’Keefes hinausbegleitet, drehte ich mich zu meinem Boss um. »Nur damit das klar ist: Diese Art von Klage schmeckt mir gar nicht.«
»Wirst du das auch noch sagen, wenn wir die größte Summe herausholen, die je in New Hampshire für eine falsche gynäkologische Diagnose gezahlt worden ist?«, fragte Bob.
»Das kannst du nicht wissen …«
Bob zuckte mit den Schultern. »Das hängt davon ab, was sich in den Krankenakten findet.«
Eine derartige Klage setzt voraus, dass die Mutter den Fötus abgetrieben hätte, hätte sie früh genug gewusst, dass das Kind behindert sein würde. Damit lag die Verantwortung für die Behinderung des Kindes beim Gynäkologen. Rechtlich gesehen handelt es sich um eine Klage wegen Arztfehlers. Für den Verteidiger wird es jedoch zu einer moralischen Frage: Wer hat das Recht zu entscheiden, welches Leben zu beschränkt ist, um am Leben bleiben zu dürfen?
In vielen Staaten werden derartige Klagen gar nicht erst zugelassen. New Hampshire gehört jedoch nicht dazu. Mehrfach haben Eltern bereits Abfindungen dafür bekommen, dass ihre Kinder behindert geboren wurden – in einem Fall sogar für einen Jungen im Rollstuhl, dessen genetischer Defekt bis dahin weltweit noch nie diagnostiziert worden war, geschweige denn in utero. In New Hampshire sind Eltern lebenslang für die Pflege ihrer behinderten Kinder verantwortlich, nicht nur bis zum achtzehnten Lebensjahr – eine starke Motivation zur Schadensersatzklage. Willow O’Keefe hatte ohne Zweifel eine traurige Lebensgeschichte, vor allem mit ihrem gewaltigen Ganzkörpergips, aber sie lächelte und beantwortete Fragen, nachdem ihr Vater hinausgegangen war und Bob mit ihr geplaudert hatte. Um es offen zu sagen: Sie war niedlich und klug … und deshalb den Geschworenen als Härtefall schwerer zu verkaufen.
»Wenn Charlotte O’Keefes Gynäkologin ihre Sorgfaltspflicht verletzt hat«, sagte Bob, »dann sollte sie dafür verklagt werden, damit so etwas nicht noch einmal geschieht.«
Ich rollte mit den Augen. »Wenn du ein paar Millionen machen willst, Bob, kannst du nicht die Gewissenskarte ausspielen. Das ist Glatteis. Wenn ein Arzt entscheidet, dass ein Kind mit brüchigen Knochen nicht geboren werden darf, was kommt dann als Nächstes? Ein IQ -Test der Eltern, um Föten abzutreiben, die es nie nach Harvard schaffen werden?«
Er schlug mir auf den Rücken. »Weißt du, es ist nett, jemanden mit so viel Leidenschaft zu sehen. Was mich betrifft, so muss ich sagen: Wann immer die Leute reden, es würden zu viele Dinge mit Wissenschaft geheilt, bin ich froh, dass Bioethik noch kein Thema war, als Polio, TB und Gelbfieber verbreitet waren.« Wir gingen zu unseren Büros, doch plötzlich blieb Bob stehen und drehte sich zu mir um. »Bist du ein Neonazi?«
» Wie bitte? «
»Das habe ich auch nicht angenommen. Aber wenn du einen Neonazi verteidigen solltest, könntest du dann deinen Job erledigen, auch wenn du seine Ansichten widerwärtig findest?«
»Natürlich. Diese Frage bekommen Studenten schon im ersten Semester zu hören«, erklärte ich. »Aber das hier ist etwas vollkommen anderes.«
Bob schüttelte den Kopf. »Genau das ist der Punkt, Marin«, erwiderte er. »Das ist nichts anderes.«
Ich wartete, bis er seine Bürotür hinter sich geschlossen hatte; dann stöhnte ich frustriert. In meinem eigenen Büro angelangt, trat ich mir die Highheels von den Füßen und schlurfte hinter meinen Schreibtisch, um mich zu setzen. Briony hatte meine Post gebracht, ordentlich zusammengebunden mit einem Gummiband. Ich schaute sie durch und sortierte die Umschläge nach Fall, bis ich einen mit unbekanntem Absender sah.
Vor einem Monat, nachdem ich den Privatdetektiv gefeuert hatte, hatte ich einen Brief an das Gericht von Hillsborough County geschrieben, um meine Adoptionspapiere einsehen zu dürfen. Für zehn Dollar konnte man eine Kopie des Originaldokuments bekommen. Ausgestattet mit dieser Kopie und der Information, dass ich im St. Joseph Hospital in Nashua geboren wurde, wollte ich dann ein wenig Rennerei auf mich nehmen und den Vornamen meiner Mutter herausfinden. Ich hatte auf einen Gerichtsassistenten gehofft, der nicht wusste, was er tat, und vergaß, meinen Geburtsnamen auf dem Dokument zu schwärzen. Stattdessen geriet ich jedoch an eine Beamtin mit Namen
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