Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
Sie gedacht haben.«
Marin
Vor zwölf Jahren, es war mein letztes Collegejahr, und ich hatte noch kein Ziel vor Augen, saß ich eines Tages am Küchentisch und hatte ein Gespräch mit meiner Mutter (mehr dazu später). »Ich weiß nicht, was ich werden will«, sagte ich.
Das hatte eine gewisse Ironie, denn zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht einmal, wer ich gewesen war. Seit meinem fünften Lebensjahr weiß ich, dass ich adoptiert wurde – »adoptiert«: der politisch korrekte Ausdruck dafür, dass man nicht den Hauch einer Ahnung von seiner tatsächlichen Herkunft hat.
»Was tust du denn gern?«, fragte meine Mutter und nippte an ihrem Kaffee. Sie trank ihn schwarz, während ich meinen hell und süß mochte. Das war einer der unzähligen Unterschiede zwischen uns, die immer wieder zu unausgesprochenen Fragen führten: Hatte meine biologische Mutter ihren Kaffee auch hell und süß getrunken? Hatte sie meine blauen Augen, meine hohen Wangenknochen, und war sie auch Linkshänder?
»Ich lese gern«, antwortete ich und rollte dann mit den Augen. »Das ist doch blöd.«
»Und du streitest gern.«
Ich grinste sie an.
»Lesen und streiten. Liebling«, sagte meine Mutter und strahlte, »du bist dazu bestimmt, Anwältin zu werden.«
Spulen wir neun Jahre vor: Wegen eines abnormalen PAP -Abstrichs war ich zu meinem Gynäkologen gerufen worden. Während ich im Sprechzimmer auf ihn wartete, lief vor meinem geistigen Auge das Leben ab, das mir entgangen war: die Kinder, die ich nie gehabt hatte, weil ich viel zu sehr mit meiner Karriere beschäftigt gewesen war; die Männer, mit denen ich nicht ausgegangen war, weil ich noch eine Hausarbeit hatte schreiben müssen; das Haus auf dem Land, das ich nie gekauft hatte, weil ich viel zu lange arbeitete, als dass ich die Teakholzterrasse oder die Aussicht hätte genießen können. »Gehen wir einmal die Krankengeschichte Ihrer Familie durch«, sagte der Arzt, und ich gab ihm meine Standardantwort: »Ich wurde adoptiert. Ich kenne die Krankengeschichte meiner Familie nicht.«
Wie sich jedoch herausstellte, war alles in Ordnung mit mir. Die abnormalen Ergebnisse waren das Resultat eines Fehlers im Labor. Ich glaube, das war der Tag, an dem ich beschloss, meine biologischen Eltern zu suchen.
Ich weiß, was du denkst: War ich mit meinen Adoptiveltern unglücklich? Nun, die Antwort lautet: Nein … was wohl auch der Grund war, warum ich bis zu meinem einunddreißigsten Lebensjahr nie daran gedacht habe, meine richtigen Eltern zu suchen. Ich war immer glücklich und dankbar gewesen, in meiner Familie aufwachsen zu dürfen. Ich brauchte keine neue Familie und wollte sie auch nicht. Und vor allem wollte ich ihnen nicht das Herz brechen, indem ich ihnen sagte, ich habe die Suche aufgenommen.
Mein ganzes Leben lang war mir klar gewesen, dass meine Adoptiveltern mich verzweifelt hatten haben wollen, meine biologischen Eltern nicht. Meine Mutter hatte mir die typische Erklärung dafür gegeben: Meine echten Eltern seien zu jung und für eine Familie noch nicht bereit gewesen. Nüchtern betrachtet konnte ich das nachvollziehen, trotzdem fühlte ich mich, als hätten sie mich weggeworfen. Ich wollte wohl wissen, warum. Also suchte ich schließlich doch das Gespräch mit meinen Adoptiveltern. Meine Mutter hat die ganze Zeit über geweint, schlussendlich aber versprochen, mir zu helfen. Vorsichtig wagte ich mich dann an die Suche, über die ich schon die letzten sechs Monate nachgedacht hatte.
Adoptiert worden zu sein fühlt sich an, als läse man ein Buch, aus dem jemand das erste Kapitel herausgerissen hat. Man genießt ja vielleicht die Handlung und die Charaktere, aber man würde eben auch gerne die erste Zeile lesen. Wenn man das Buch jedoch in den Laden zurückbringt, um das erste Kapitel zu reklamieren, bekommt man zu hören, ein vollständiger Ersatz könne leider nicht herausgegeben werden. Denn was sollte werden, wenn einem das erste Kapitel nicht gefällt? Man sollte doch besser bei der Teilausgabe bleiben und sich am Rest der Geschichte erfreuen.
Adoptionsakten sind nicht offen – nicht einmal für jemanden wie mich, der weiß, welche juristischen Fäden er ziehen muss. Das hieß, dass jeder Schritt auf meiner Suche zu einer Herkulesarbeit ausartete und dass ich häufiger scheiterte, als dass ich Erfolge zu verzeichnen hatte. Nach den ersten drei Monaten meiner Suche habe ich einem Privatdetektiv über sechshundert Dollar bezahlt, obwohl er absolut gar nichts
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