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Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Titel: Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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sich über die Augen. »Oder?«
    Ich biss die Zähne zusammen und reichte ihr eine Packung Kleenex. Ja, das war die 64 000-Dollar-Frage.
    Wahrscheinlich würdest du zu dem Zeitpunkt, da die Klage vor Gericht ging, schon alt genug sein, um zu begreifen, was deine Mutter da tat – so wie ich damals. Ich wusste, wie man sich fühlt, wenn die eigene Mutter einen nicht haben will. Tatsächlich hatte ich meine gesamte Kindheit damit verbracht, Entschuldigungen für sie zu erfinden. Tagtraum 1: Sie war bis über beide Ohren in einen Jungen verliebt, der sie geschwängert hatte, und ihre Familie konnte die Schande nicht ertragen. Deshalb schickten sie sie in die Schweiz und sagten allen, sie sei dort im Internat, während sie in Wahrheit mich bekommen hatte. Tagtraum 2: Sie war gerade auf dem Weg ins Friedenskorps, um die Welt zu retten, als sie feststellte, dass sie schwanger war, und sie erkannte, dass das Wohl vieler wichtiger war als ihr Wunsch nach einem Baby. Tagtraum 3: Sie war eine Schauspielerin, America’s Sweetheart, die ihre an erzkonservativen Werten orientierten Fans aus dem Mittleren Westen verlieren würde, sollten sie erfahren, dass sie eine alleinerziehende Mutter war. Tagtraum 4: Sie und mein Vater waren arme Milchbauern, die für ihr Kind ein besseres Leben hatten haben wollen als das, was sie ihm hätten bieten können.
    Wahrscheinlich erlebt jede Frau diesen entscheidenden Augenblick, in dem sie erkennt, was es bedeutet, Mutter zu sein. Für meine biologische Mutter war dieser Moment vielleicht gekommen, als sie mich der Krankenschwester übergab und Lebewohl sagte. Für die Mutter, die mich großgezogen hat, war es der Augenblick, da sie mich an den Küchentisch gebeten und mir erzählt hat, dass ich ihr Adoptivkind bin. Für deine Mutter war es die Entscheidung, die Klage durchzuziehen, ungeachtet der öffentlichen und privaten Auswirkungen. Eine gute Mutter musste sogar das Risiko eingehen, ihr Kind zu verlieren, wie mir schien.
    »Ich habe mir so sehr ein zweites Kind gewünscht«, sagte Charlotte leise. »Ich wollte diese Erfahrung mit Sean teilen. Ich wollte mit ihm und unserer Tochter in den Park gehen und ihr beim Schaukeln helfen. Ich wollte mit ihr Kekse backen und zu Schulaufführungen gehen. Ich wollte ihr Reiten beibringen und Wasserskifahren. Ich wollte, dass sie sich im Alter um mich kümmert.« Sie schaute zu mir auf. »Nicht andersherum.«
    Ich spürte, wie sich mir die Nackenhaare sträubten. Ich wollte einfach nicht glauben, dass ein Mensch, der ein Kind in die Welt gesetzt hatte, so einfach aufgab, sobald das Leben ein wenig härter wurde. »Ich denke, die meisten Eltern wissen, dass nicht nur rosige Zeiten auf sie zukommen«, bemerkte ich so neutral wie möglich.
    »Ich war nicht naiv. Ich hatte bereits eine Tochter. Ich wusste, dass ich mich um Willow würde kümmern müssen, wenn sie sich verletzt. Ich wusste, dass ich mitten in der Nacht würde aufstehen müssen, wenn sie Albträume hat. Aber ich habe nicht gewusst, dass sie wochenlang oder gar jahrelang leiden würde. Ich habe nicht gewusst, dass ich jede Nacht würde aufstehen müssen. Ich habe nicht gewusst, dass es ihr nie besser gehen würde.«
    Ich senkte den Blick und tat so, als müsse ich ein paar Papiere ordnen. Was, wenn meine Mutter mich weggegeben hatte, weil sie glaubte, ich würde nie werden, was sie sich erhoffte? »Was ist mit Willow?«, fragte ich und spielte bewusst den Advokaten des Teufels. »Sie ist ein kluges Kind. Wenn Sie nun erklären, Sie wünschten, sie wäre nie geboren worden – was glauben Sie, wie sie darauf reagieren wird?«
    Charlotte zuckte unwillkürlich zusammen. »Sie weiß, dass das nicht stimmt«, sagte sie. »Ich könnte mir kein Leben ohne sie vorstellen.«
    In meinem Kopf ging eine rote Lampe an. »Moment! Sagen Sie das nicht. Das dürfen Sie noch nicht einmal andeuten . Wenn Sie eine Klage einreichen, Mrs. O’Keefe, dann müssen Sie bezeugen können – notfalls auch unter Eid –, dass Sie die Schwangerschaft in jedem Fall abgebrochen hätten, hätte man Sie frühzeitig über die Krankheit Ihrer Tochter informiert.« Ich wartete, bis sie mir in die Augen schaute. »Ist das ein Problem für Sie?«
    Sie wandte den Blick ab und schaute zum Fenster hinaus. »Kann man einen Menschen vermissen, den man nie gekannt hat?«
    Es klopfte an der Tür, und unsere Empfangssekretärin steckte den Kopf herein. »Tut mir leid, Sie zu stören, Marin«, sagte Briony, »aber Ihr Elf-Uhr-Termin ist

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