Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
Ich las ihm seine Rechte vor und führte den Priester zum Streifenwagen.
»Was ist mit meinem Auto?«
»Das wird abgeschleppt. Sie können es morgen abholen«, antwortete ich.
»Aber morgen ist Sonntag !«
Wir waren nur knapp eine halbe Meile vom Revier entfernt, und das war ein Segen, denn ich wäre nicht imstande gewesen, längere Zeit Smalltalk mit meinem Priester zu halten, nachdem ich ihn gerade verhaftet hatte. Auf dem Revier angekommen, sagte ich zu Pater Grady, er möge bitte einmal ins Röhrchen pusten. »Sie haben das Recht, den gleichen oder einen vergleichbaren Test auch von einer anderen Person Ihrer Wahl durchführen zu lassen«, klärte ich ihn pflichtgemäß auf. »Wenn Sie wollen, werden Sie Gelegenheit bekommen, diesen zusätzlichen Test durchführen zu lassen. Willigen Sie jedoch nicht in einen Test durch den Vollzugsbeamten ein, können Sie Ihren Führerschein für einen Zeitraum von einhundertachtzig Tagen verlieren; diese Zeit wird nicht auf eine mögliche Strafe wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss angerechnet.«
»Nein, nein, Sean, ich vertraue Ihnen«, sagte Pater Grady.
Ich war nicht überrascht, als der Test eine beachtliche Promillezahl ergab.
Da meine Schicht sich dem Ende zuneigte, bot ich Pater Grady an, ihn nach Hause zu fahren. Die Straße schlängelte sich an der Kirche vorbei und einen Hügel hinauf, auf dem das kleine weiße Haus stand, das als Pfarrhaus diente. Ich parkte in der Auffahrt und half Pater Grady, in verhältnismäßig gerader Linie zur Tür zu gehen. »Ich war bei einem Leichenschmaus«, sagte er und drehte den Schlüssel im Schloss.
»Pater«, seufzte ich, »Sie müssen mir nichts erklären.«
»Es war ein Junge … erst sechsundzwanzig Jahre alt. Motorradunfall, vergangenen Dienstag. Sie wissen vermutlich davon. Mir war klar, dass ich noch fahren muss, aber die Mutter … sie hat sich die Seele aus dem Leib geheult, und die Brüder waren vollkommen am Boden zerstört. Da wollte ich wenigstens ein bisschen Trost spenden.«
Ich wollte ihm nicht zuhören. Ich brauchte nicht auch noch die Probleme anderer Leute. Trotzdem nickte ich dem Priester zu.
»Also haben wir ein paar Mal auf das Wohl des Verstorbenen getrunken … mit ein paar Gläsern Whiskey«, fuhr Pater Grady fort. »Aber zerbrechen Sie sich nicht den Kopf, Sean. Ich weiß, dass es falsch war; nur muss man manchmal das Falsche tun, um das Gute zu erreichen.«
Die Tür schwang auf. Ich war noch nie im Pfarrhaus gewesen. Es war heimelig und klein. An den Wänden hingen eingerahmte Psalmen; auf dem Küchentisch stand eine Kristallschüssel mit Süßigkeiten, und hinter der Couch hing eine Fahne der Patriots. »Ich werde mich jetzt einfach hinlegen«, murmelte Pater Grady und streckte sich auf der Couch aus.
Ich zog ihm die Schuhe aus, holte eine Decke aus dem Schrank und deckte ihn zu. »Gute Nacht, Pater.«
Er öffnete die Augen einen Spalt. »Sehe ich Sie morgen bei der Messe?«
»Darauf können Sie wetten«, antwortete ich, aber Pater Grady schnarchte bereits.
Als ich Charlotte sagte, ich wolle am nächsten Morgen in die Kirche gehen, fragte sie mich, ob ich mich nicht wohlfühle. Unter normalen Umständen musste sie mich förmlich in die Kirche zerren, aber ich war neugierig, ob Pater Grady in seiner Predigt vielleicht unsere nächtliche Begegnung erwähnen würde. »Die Sünden der Väter«, so kann er es ja nennen , dachte ich und kicherte vor mich hin. Charlotte zwickte mich. Sie saß neben mir in der Kirchenbank. »Schschsch«, zischte sie.
Einer der Gründe, warum ich nicht gerne in die Kirche ging, war die Glotzerei. Nächstenliebe und Mitleid lagen für meinen Geschmack ein wenig zu nah beieinander. Wenn mir eine alte Lady mit lila gefärbten Haaren sagte, sie werde für mich beten, lächelte ich und sagte brav Danke, obwohl ich innerlich angepisst war. Hatte sie vielleicht jemand darum gebeten? Konnte sie sich denn nicht denken, dass ich das selbst schon oft genug tat?
Charlotte meinte, dass ein Hilfsangebot kein Kommentar zur Schwäche eines anderen sei und dass ein Polizeibeamter das eigentlich wissen müsste. Aber falls es dich interessiert, was ich dachte, wenn ich einem Fremden den Weg erklärte oder einer geprügelten Frau meine Karte gab und sagte, sie solle mich anrufen, wenn sie Hilfe braucht – ich sag’s dir: Reiß dich gefälligst zusammen und such dir selbst einen Weg aus dem Schlamassel, in den du dich gebracht hast. Meiner Meinung nach gab es einen großen
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