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Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Titel: Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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hier.«
    »Elf Uhr?«, rief Charlotte und sprang auf. »Ich komme zu spät. Willow wird panische Angst haben.« Sie schnappte sich ihre Handtasche, warf sie sich über die Schulter und rannte hinaus.
    »Wir bleiben in Verbindung«, rief ich ihr hinterher.
    Erst am Nachmittag dieses Tages, als ich darüber nachdachte, was Charlotte O’Keefe zu mir gesagt hatte, fiel mir auf, dass sie meine Frage zur Abtreibung mit einer Gegenfrage beantwortet hatte.

Sean
    Am Samstagabend um zehn Uhr wurde mir klar, dass ich in die Hölle fahren würde.
    Samstagabend – das ist die Zeit, die einem vor Augen führt, dass jedes Bilderbuchstädtchen in New England eine gespaltene Persönlichkeit hat, dass die gesunden, lächelnden Kerle, die man im Yankee -Magazin sieht, häufig sturzbetrunken in einer Bar anzutreffen sind. Samstagabends versuchen einsame Kids, sich an Garderobenständern ihrer Studentenzimmer aufzuhängen, und Highschoolmädchen werden von Collegejungs vergewaltigt. Samstagabends erwischt man auch Leute, die derart in Schlangenlinien mit ihrem Wagen fahren, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis jemand durch sie zu Schaden kommt.
    In dieser Nacht stand ich hinter dem Parkplatz einer Bank, als plötzlich auf der Mittellinie der Straße ein weißer Camry vorbeigekrochen kam. Ich schaltete mein Blaulicht an, folgte dem Wagen und forderte ihn auf, rechts ranzufahren.
    Ich stieg aus und näherte mich der Fahrerseite. »Guten Abend«, sagte ich, »wissen Sie, warum …?« Doch bevor ich die Frage zu Ende stellen konnte, wurde das Fenster heruntergefahren, und ich starrte auf unseren Priester.
    »Oh, Sean, Sie sind es«, sagte Pater Grady. Er hatte einen weißen Haarschopf, den Amelia seine »Einsteinfrisur« nannte, und er trug seinen römischen Kragen. Seine Augen waren glasig und leuchteten.
    Ich zögerte. »Pater, ich muss mir Ihre Papiere ansehen …«
    »Kein Problem«, erwiderte der Priester und kramte im Handschuhfach. »Sie machen nur Ihren Job.« Ich beobachtete, wie er herumfummelte und dreimal den Führerschein fallen ließ, bevor er es schaffte, ihn mir zu geben. Ich schaute in den Wagen, sah aber weder Flaschen noch Dosen.
    »Pater, Sie sind mitten auf der Linie gefahren.«
    »Bin ich?«
    Ich konnte den Alkohol in seinem Atem riechen. »Haben Sie heute etwas getrunken, Pater?«
    »Eigentlich nicht …«
    Priester konnten doch nicht lügen, oder? »Macht es Ihnen etwas aus, für mich mal auszusteigen?«
    »Kein Problem.« Er stolperte aus der Tür und lehnte sich an die Motorhaube seines Camry, die Hände in den Hosentaschen. »Ich habe Ihre Familie in letzter Zeit gar nicht mehr bei der Messe gesehen …«
    »Pater, tragen Sie Kontaktlinsen?«
    »Nein …«
    Damit begann der Test zum Augenzittern, einem Zeichen von Trunkenheit. »Ich möchte Sie bitten, dem Licht zu folgen«, sagte ich, holte eine Stablampe aus meiner Tasche und hielt sie mehrere Zentimeter vor das Gesicht des Priesters, ein Stück über Augenhöhe. »Bitte folgen Sie ihm nur mit den Augen, ohne den Kopf zu bewegen«, fügte ich hinzu. »Verstanden?«
    Pater Grady nickte. Ich betrachtete seine Pupillen und bemerkte ein leichtes Nachziehen sowie ein Zittern, als ich den Lichtstrahl zu seinem linken Ohr bewegte.
    »Danke, Pater. Wenn Sie sich jetzt bitte auf das rechte Bein stellen würden? So.« Ich machte es ihm vor, und er hob den linken Fuß. Er wankte, blieb aber aufrecht. »Und jetzt auf das linke«, sagte ich, und diesmal fiel er nach vorne.
    »Okay, Pater, eins noch … Können Sie mal ein Stück für mich gehen? Ferse an Zeh?« Ich zeigte ihm, wie, und sah ihn dann über seine eigenen Füße stolpern.
    Bankton war so winzig, dass wir allein Streife fuhren und nicht mit einem Partner. Vermutlich hätte ich Pater Grady gehen lassen können. Niemand hätte es bemerkt, und vielleicht hätte er bei seinem Boss sogar ein gutes Wort für mich eingelegt. Aber ihn gehen zu lassen hätte auch bedeutet, mich selbst zu belügen, was sicher eine genauso große Sünde war. Und wer konnte wissen, wer ihm auf dem Weg nach Hause in die Quere käme? Ein Teenager vielleicht, der gerade von einem Date zurückkam. Oder ein Vater, der von einer Geschäftsreise heimkehrte, oder eine Mutter, die ihr krankes Kind ins Krankenhaus bringen wollte. Ich musste nicht Pater Grady beschützen, sondern die Menschen, denen er auf seiner Fahrt begegnen könnte.
    »Ich tue das nicht gerne, Pater, aber ich muss Sie wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss verhaften.«

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