Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
jeden Morgen zwei Stunden lang im Keller einer Kirche stattfand. Du warst ein Jahr älter als die anderen Kinder in der Klasse, aber aufgrund deiner Knochenbrüche hattest du so viele Schulstunden verpasst, dass wir beschlossen hatten, dich das Jahr wiederholen zu lassen – du konntest zwar auf dem Niveau der sechsten Klasse lesen, aber du brauchtest Kinder in deinem Alter zur Sozialisation. Du hattest nicht viele Freunde. Andere Kinder waren entweder befremdet von deinem Rollstuhl oder deiner Gehhilfe, oder sie waren – seltsamerweise – neidisch auf deine Gipsverbände, mit denen du in die Schule kamst. Als wir nun zur Kirche fuhren, schaute ich in den Rückspiegel. »Und? Was wirst du als Erstes tun?«
»Am Reistisch spielen.« Miss Katie, die auf deiner Bewunderungsskala nicht weit hinter Jesus rangierte, hatte einen riesigen Kasten mit gefärbten Reiskörnern gefüllt, die die Kinder in Behälter von unterschiedlicher Größe schütten konnten. Du fandest das Geräusch dabei klasse; es klinge wie prasselnder Regen, meintest du. »Und dann mit dem Fallschirm.«
Das war ein Spiel, bei dem die Kinder im Laufen ein buntes rundes Seidentuch am Rand hochhielten wie einen Baldachin, während ein anderes Kind darunter herlief. »Darauf wirst du noch eine Weile warten müssen, Willow«, sagte ich und fuhr auf den Parkplatz. »Immer eins nach dem anderen.«
Ich lud deinen Rollstuhl aus dem Van und setzte dich hinein. Dann schob ich dich die Rampe hinauf, die die Schule vergangenen Sommer angebaut hatte, nachdem wir dich angemeldet hatten. Drinnen hängten die anderen Schüler ihre Mäntel in die Spinde, und Mütter rollten getrocknete Fingerfarbenbilder zusammen. »Du bist wieder da!«, rief eine Frau und lächelte dich an. Dann wandte sie sich mir zu. »Kelsey hat letztes Wochenende Geburtstag gefeiert; sie hat ein paar Sachen für Willow aufgehoben. Wir hätten sie auch eingeladen, aber nun ja … Die Feier fand in der Turnhütte statt, und da hätte sie sich vielleicht ausgeschlossen gefühlt.«
Und wenn sie nicht eingeladen wird, fühlt sie sich nicht ausgeschlossen? , dachte ich, lächelte aber. »Das war sehr rücksichtsvoll von ihr.«
Ein kleiner Junge berührte deinen Spreizgips. »Wow!«, keuchte er. »Wie pinkelst du in dem Ding?«
»Gar nicht«, hast du mit ernster Miene geantwortet. »Ich war seit vier Monaten nicht mehr pinkeln, Derek. Pass also lieber auf. Ich könnte jeden Augenblick explodieren – wie ein Vulkan.«
»Willow«, murmelte ich, »sei nicht so gemein.«
» Er hat angefangen …«
Miss Katie kam in den Flur, als sie die Aufregung hörte, die unsere Ankunft verursacht hatte. Ganz kurz schien sie der Anblick deines Verbands zu erschrecken, doch sie fing sich rasch. »Willow!«, sagte sie und hockte sich hin, um dir auf Augenhöhe zu begegnen. »Wie schön, dich zu sehen!« Sie rief ihre Assistentin, Miss Sylvia. »Sylvia, kannst du ein Auge auf Willow werfen, während ihre Mom und ich kurz miteinander sprechen?«
Ich folgte Miss Katie den Flur entlang und an den Toiletten vorbei zu dem Musikzimmer, das zugleich als Gymnastikraum diente. »Charlotte«, sagte Katie, »ich muss etwas missverstanden haben. Als Sie mich anriefen und sagten, dass Willow wiederkommt, dachte ich, der Gips sei weg.«
»Er wird auch bald weg sein. Das geht nur nicht von heute auf morgen.« Ich lächelte sie an. »Sie freut sich wirklich, wieder hier zu sein.«
»Ich glaube, das ist ein wenig übereilt …«
»Das ist schon in Ordnung, wirklich. Sie braucht die Aktivität. Selbst wenn sie sich wieder etwas bricht – ein Bruch nach ein paar schönen Wochen, die mit Spielen ausgefüllt waren, ist besser für ihren Körper, als wenn sie daheim still sitzt und unverletzt bleibt. Und machen Sie sich keine Sorgen, dass die anderen Kinder ihr wehtun könnten – jedenfalls nicht mehr als sonst. Wir raufen ja auch mit ihr und kitzeln sie.«
»Jaja, aber das machen Sie zu Hause «, erklärte die Lehrerin. »In einer Schulumgebung ist das … nun ja … riskanter.«
Ich trat einen Schritt zurück und las klar und deutlich in Katies Gesicht: Solange sie hier auf dem Gelände ist, sind wir haftungspflichtig. Trotz des Behindertengesetzes las ich in OI -Foren immer wieder, dass manche Privatschulen den Eltern höflich nahelegten, ein Kind mit einem noch nicht ganz verheilten Bruch zu Hause zu lassen, vorgeblich im besten Interesse des Kindes, wahrscheinlicher jedoch aufgrund von steigenden
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