Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
tun.«
Charlotte schaute mich an. » Würdest du?«
Ich spürte das Gewicht auf meinen Schultern. Es drückte mich in die Kissen: die Klage. »Das kommt mir … hässlich vor. Das kommt mir vor, als würden wir sagen, dass wir sie nicht lieben, weil sie … weil sie so ist, wie sie ist.«
»Aber eben weil wir sie wollen, weil wir sie lieben, habe ich doch überhaupt erst daran gedacht«, sagte Charlotte. »Ich bin nicht dumm, Sean. Ich weiß, dass die Leute sagen werden, es käme mir nur aufs Geld an. Ich weiß, dass sie mich für die schlechteste und selbstsüchtigste Mutter der Welt halten werden. Aber mir ist egal, was andere über mich sagen. Mir geht es nur um Willow. Ich will erreichen, dass sie aufs College gehen, alleine leben und sich ihre Wünsche erfüllen kann … auch wenn das heißt, dass die ganze Welt mich verachtet. Ist es wirklich wichtig, was andere sagen, wenn ich weiß, warum ich es tue?« Erneut schaute sie mir in die Augen. »Ich werde wegen dieser Sache schon meine beste Freundin verlieren«, sagte sie. »Bitte, nicht auch noch dich.«
Als sie noch Konditorin war, habe ich immer gestaunt, wie die kleine Charlotte Säcke mit fünfzig Pfund Mehl stemmen konnte. Sie besaß eine Kraft, die über ihre Größe und Statur weit hinausging. Ich sah die Welt in Schwarz und Weiß; deshalb war ich ja auch Cop geworden. Aber diese Klage war doch nun mal nur ein Mittel zum Zweck, oder? Konnte etwas, das nach außen hin derart falsch aussah, im Endeffekt doch das Richtige sein?
Ich legte meine Hand auf ihre. »Wirst du nicht«, sagte ich.
Charlotte
Ende Mai 2007
Deine ersten sieben Knochenbrüche hattest du schon erlitten, bevor du auf die Welt kamst. Der nächste passierte nur Minuten nach deiner Geburt, als eine Krankenschwester dich aus meinem Bauch heraushob. Der neunte folgte, als man dich nach einem Herzstillstand wiederbelebte. Der zehnte, als du auf meinem Schoß lagst und ich plötzlich ein Knacken hörte. Beim elften drehtest du dich im Bettchen um, sodass dein Arm auf die Kante schlug. Nummer zwölf und dreizehn waren Oberschenkelhalsbrüche, Nummer vierzehn das Schienbein und Nummer fünfzehn ein Rückenwirbel. Bei Nummer sechzehn warst du von der Treppe gesprungen. Beim siebzehnten hatte dich ein Kind auf dem Spielplatz umgerannt, und beim achtzehnten warst du im Wohnzimmer auf einer DVD -Hülle ausgerutscht. Wir wissen noch immer nicht, was Bruch Nummer neunzehn verursachte. Bei Nummer zwanzig sprang Amelia auf einem Bett herum, auf dem du saßest. Nummer einundzwanzig war ein Fußball, der dich am linken Bein traf. Bei Nummer zweiundzwanzig hörte ich dann das erste Mal von wasserdichten Verbänden und kaufte einen Riesenvorrat, der für ein ganzes Krankenhaus gereicht hätte; ich verstaute ihn in der Garage. Nummer dreiundzwanzig passierte im Schlaf, und die Nummern vierundzwanzig und fünfundzwanzig waren ein Sturz im Schnee, bei dem du dir beide Unterarme brachst. Nummer sechsundzwanzig und Nummer siebenundzwanzig ereigneten sich bei einer Halloweenparty im Kindergarten und waren ziemlich übel: Waden- und Schienbein ragten aus der Haut. Ironischerweise warst du als Mumie verkleidet, und ich konnte mit den Bandagen des Kostüms Erste Hilfe leisten. Nummer achtundzwanzig passierte beim Niesen. Neunundzwanzig und dreißig waren Rippen, die du dir an der Küchentischkante brachst. Nummer einunddreißig war eine Hüftfraktur, die mit einer Metallplatte und sechs Schrauben wieder in Ordnung gebracht werden musste. Danach habe ich nicht mehr weitergezählt. Aber den Brüchen, die du dir in Disney World zugezogen hattest, gaben wir Namen: Sie hießen Micky, Donald und Goofy.
Vier Monate nachdem man dir den Spreizgips angelegt hatte, wurde er zweigeteilt. Das hieß, er wurde in zwei Hälften geschnitten und mit Billigklammern gesichert, die schon nach wenigen Stunden brachen; also ersetzte ich sie durch bunte Klebebandstreifen. Nach und nach nahmen wir die obere Hälfte des Gipses ab, damit du dich aufsetzen und deine Bauch- und Beinmuskeln trainieren konntest, die sich stark zurückentwickelt hatten. Laut Dr. Rosenblad musstest du noch ein paar Wochen in der unteren Schale verbringen; dann würdest du nur noch darin schlafen müssen. Acht Wochen später würdest du mit einer Gehhilfe wieder stehen können, und noch einmal vier Wochen später könntest du allein ins Badezimmer gehen.
Das Beste war jedoch, dass du wieder in die Vorschule gehen konntest. Das war eine Privatschule, die
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