Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
besonders schwer zu brechen sind: das Schulterblatt.« Er deutete auf das zweite Bild an der Leuchttafel. Der Riss war deutlich zu erkennen. »Das Schulterblatt ist so beweglich gelagert, dass es bei einem Aufprall fast nie bricht.«
»Und was machen wir jetzt?«, fragte ich.
»Nun, sie trägt bereits einen Spreizgips … Da Mumifizierung wohl nicht infrage kommt, ist eine Schlinge wohl die beste Option. Es wird ein paar Tage lang wehtun, aber die Alternative wäre wohl grausam.« Er bandagierte deinen Oberarm wie einen gebrochenen Vogelflügel. »Ist das zu fest?«
Du hast ihm in die Augen geschaut. »Ich habe mir einmal das Schlüsselbein gebrochen, die Clavicula. Das hat mehr wehgetan. Wissen Sie, dass Clavicula ›kleiner Schlüssel‹ bedeutet? Nicht weil es wie einer aussieht, sondern weil es die anderen Brustknochen miteinander verbindet.«
Dr. Dewitt klappte der Mund auf. »Bist du irgendwie mit Doogie Howser verwandt?«
»Sie liest viel«, erklärte ich und lächelte.
»Scapula, Sternum und Xiphoid«, hast du hinzugefügt. »Ich kann das auch buchstabieren.«
»Da soll mich doch …«, begann der Doktor leise und errötete dann. »Ich meine … Wow!« Er schaute mich über deinen Kopf hinweg an. »Sie ist mein erster Patient mit OI . Das muss ziemlich heftig sein.«
»Ja«, sagte ich. »Echt heftig.«
»Nun, Willow, solltest du je als Orthopäde hier arbeiten wollen, da wartet ein weißer Kittel mit deinem Namen drauf.« Er nickte mir zu. »Und falls Sie je mit jemandem reden wollen …« Er holte eine Visitenkarte aus seiner Brusttasche.
Verlegen steckte ich sie mir in die Gesäßtasche. Die Karte hatte ich wohl weniger seiner Freundlichkeit mir gegenüber als vielmehr seiner Sorge um Willow zu verdanken. Schließlich hatte der Arzt gleich zwei Beweise für meine Inkompetenz: zwei Knochenbrüche schwarz auf weiß. Ich tat, als ob ich etwas in meiner Handtasche suchte; dabei wartete ich in Wirklichkeit nur darauf, dass er ging. Ich hörte, wie er dir einen Lutscher anbot und sich verabschiedete.
Wie konnte ich behaupten zu wissen, was für dich am besten war, wenn ich jeden Moment damit rechnen musste zu erfahren, dass ich nicht so gut auf dich achtgegeben hatte, wie ich es hätte tun können? Dachte ich über diese Klage nach, weil ich wollte, dass es dir besser ging, oder wollte ich nur Buße für all die Fehler tun, die ich schon gemacht hatte und noch machen würde?
Wie der Wunsch nach einem Baby. Jeden Monat, nachdem ich hatte erfahren müssen, dass Sean und ich es schon wieder nicht geschafft hatten, war ich unter die Dusche gegangen, hatte mir das Wasser übers Gesicht laufen lassen und gebetet. Gebetet, schwanger zu werden, um jeden Preis.
Ich hob dich hoch – auf meine linke Hüfte, da du dir die rechte Schulter gebrochen hattest – und verließ das Untersuchungszimmer. Die Visitenkarte des Arztes brannte mir ein Loch in die Hosentasche. Ich war durch meine Gedanken so abgelenkt, dass ich fast ein kleines Mädchen über den Haufen gerannt hätte, das gerade hereinkam. »Oh, Liebes … Tut mir leid«, sagte ich und trat einen Schritt zurück. Das Mädchen war ungefähr in deinem Alter und hielt die Hand seiner Mutter. Sie trug ein pinkfarbenes Tutu und Gummistiefel mit Froschköpfen. Ihr Kopf war vollkommen kahl.
In dem Augenblick hast du getan, was du selbst überhaupt nicht leiden konntest: Du hast sie angestarrt.
Die Kleine starrte zurück.
Du hattest schon früh die Erfahrung gemacht, dass die Leute ein Kind im Rollstuhl anstarren, und von mir den Rat bekommen, sie anzulächeln und Hallo zu sagen, damit sie erkannten, dass du ein Mensch und kein Kuriosum bist. Amelia beschützte dich immer besonders vehement. Wenn sie sah, wie ein Kind dich angaffte, ging sie hin und erklärte, das würde aus Kindern werden, wenn sie ihr Zimmer nicht aufräumten und ihr Gemüse nicht äßen. Ein-, zweimal brach daraufhin ein Kind in Tränen aus, und ich wollte sie schon dafür tadeln. Doch dann sah ich, wie dich das zum Lächeln brachte und du dich in deinem Rollstuhl aufsetztest, anstatt dich wie sonst möglichst unsichtbar zu machen.
Doch diesmal lag der Fall anders.
»Willow!«, mahnte ich und unterstrich das mit einem Druck meiner Hand.
Die Mutter des Mädchens schaute mich an. Wir wechselten tausend Worte, ohne dass eine von uns beiden sprach. Sie nickte mir zu, und ich nickte zurück.
Wir gingen aus dem Krankenhaus in den späten Frühlingsnachmittag, der nach Zimt und Asphalt
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