Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
einer Adoption waren sechs Monate Wartezeit vorgeschrieben; dazu kam dann noch die Zeit bis zur Anhörung. In der Adoptionsgemeinde wird dieser Sechsmonatszeitraum heftig debattiert. Einige Leute finden, er sollte länger sein, um der biologischen Mutter Gelegenheit zu geben, ihre Meinung noch mal zu ändern; andere wieder fordern eine Verkürzung, um den Adoptiveltern Sicherheit zu geben, dass man ihnen das Kind nicht wieder wegnimmt. Zu welcher der beiden Gruppen man gehört, hängt natürlich davon ab, ob man ein Baby weggeben oder bekommen will.
Ich kam ein paar Tage zu spät. Mein Vater hat immer gesagt, er habe schon fest eingeplant, mich von der Steuer abschreiben zu können, doch dann sei ich erst im neuen Jahr gekommen. Auf einem Stück Papier, das mit mir aus dem Krankenhaus gekommen war und in meinem Babybuch lag, war ein Kärtchen aufgeklebt, das an meinem Körbchen gehangen hatte. Der Name war abgerissen worden, doch in der Mitte war noch eine Schleife zu erkennen: von einem y, einem g, einem j oder einem q. Das wusste ich also von meinem alten Selbst und dass meine biologischen Eltern in Hillsborough County gelebt hatten und meine Mutter bei der Geburt siebzehn Jahre alt gewesen war. In den Siebzigerjahren waren die Chancen, dass eine Siebzehnjährige den Vater ihres Babys heiratete, noch recht groß gewesen, und das führte mich ins Archiv des Standesamtes.
Mithilfe eines Rechners auf einer Schwangerschaftsseite fand ich heraus, dass ich um den 10. April herum gezeugt worden sein musste, wenn ich kurz nach Neujahr zur Welt gekommen war. Der 10. April … ein Highschool-Frühlingsball, konnte ich mir vorstellen. Eine mitternächtliche Fahrt an den Strand. Wellen auf dem Sand und ein wunderbarer Sonnenuntergang, und er und sie schliefen Arm in Arm … Aber wie auch immer. Wenn sie einen Monat später herausfand, dass sie schwanger war, müssten sie im Frühsommer 1972 geheiratet haben.
1972 war Nixon nach China geflogen. Bei den Olympischen Spielen in München waren elf israelische Athleten ums Leben gekommen. Eine Briefmarke hatte acht Cent gekostet. Oakland hatte die World Series gewonnen, und M*A*S*H war auf CBS angelaufen.
Am 22. Januar 1973, neunzehn Tage nach meiner Geburt, als ich schon bei den Gates’ wohnte, entschied das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten den Fall Roe gegen Wade .
Hörte meine Mutter damals davon und verfluchte ihr schlechtes Timing?
Vor ein paar Wochen hatte ich begonnen, die Archive von Hillsborough County nach Heiratsurkunden aus dem Sommer 1972 zu durchforsten. Wenn meine Mutter erst siebzehn Jahre alt gewesen war, musste auch eine Einverständniserklärung der Eltern vorliegen. Das würde doch sicherlich die Zahl der Dokumente reduzieren, die ich durchgehen musste.
Ich hatte Joe an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden abblitzen lassen und mich durch mehr als dreitausend Anträge auf Eheschließung gewühlt. Dabei hatte ich ein paar wirklich unheimliche Dinge über meinen Heimatstaat gelernt – wie zum Beispiel, dass ein Mädchen zwischen dreizehn und siebzehn und ein Junge zwischen vierzehn und siebzehn mit Zustimmung der Eltern heiraten konnten –, trotzdem hatte ich keinen Antrag gefunden, der so aussah, als könnte er zu meinen biologischen Eltern gehören.
Um die Wahrheit zu sagen, hatte ich schon frustriert darüber nachgedacht, die Suche einzustellen, bevor Joe mich abservierte.
Nachdem ich sein Büro verlassen hatte, ging ich wieder zur Arbeit und verbrachte den Rest des Tages hauptsächlich mit Telefonieren. Als ich abends dann nach Hause kam, machte ich mir eine Flasche Wein und eine Packung Eis auf und stellte mich der Wahrheit: Ich musste mich entscheiden, ob ich meine biologische Mutter wirklich finden wollte. Vermutlich hatte sie schwer mit sich gerungen, ob sie mich nun abgeben sollte oder nicht; schuldete ich ihr da nicht die gleiche Sorgfalt bei der Überlegung, sie nun zu suchen oder nicht? Neugier reichte dafür als Grund jedenfalls nicht aus, ebenso wenig wie die Angst, irgendeine Krankheit geerbt zu haben. Und wenn ich dann erst einmal ihren Namen hatte – was dann? Damit brächte ich nicht automatisch auch den Mut auf zu erfahren, warum ich weggegeben worden war. Wenn ich das täte, würde ich die Tür zu einer Beziehung öffnen, die unser beider Leben nachhaltig verändern würde.
Ich griff nach dem Telefonhörer und rief meine Mutter an. »Was machst du gerade?«, fragte ich.
»Ich versuche gerade herauszufinden, wie ich
Weitere Kostenlose Bücher