Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
gekommen war, sodass die Patientin das Bewusstsein nicht mehr erlangt hatte. Aber ich versuchte, nicht an diese Fälle zu denken. Stattdessen konzentrierte ich mich lieber auf jenen Moment, wenn das Baby, dieses kleine zappelnde Würmchen, in meinen Händen seinen ersten Atemzug tat.
Ich klopfte an. »Fertig?«
Die Frau saß auf dem Untersuchungstisch, und ihr Bauch ruhte auf dem Schoß wie eine Opfergabe. »Großartig«, sagte ich und steckte mir das Stethoskop in die Ohren. »Lassen Sie uns erst einmal Ihre Brust abhören.« Ich hauchte auf die Metallscheibe – als Geburtshelferin passte ich stets auf, keine allzu kalten Metallobjekte zu nah an eine Patientin heranzubringen – und legte sie sanft auf den Rücken der Frau. Ihre Lunge war vollkommen frei, kein Rasseln, kein Kratzen. »Klingt gut«, sagte ich. »Schauen wir uns jetzt mal Ihr Herz an.«
Ich zog der Frau den Kittel auf und fand eine große, lange OP -Narbe auf der Brust. »Wovon ist die denn?«, fragte ich.
»Oh, nur von meiner Herztransplantation.«
Ich hob die Augenbrauen. »Haben Sie der Krankenschwester nicht gesagt, Sie hätten keinerlei medizinische Probleme?«
»Habe ich auch nicht«, antwortete die Patientin und strahlte. »Mein neues Herz arbeitet großartig.«
Charlotte hatte mich nie als Ärztin gesehen, bis sie versucht hatte, schwanger zu werden. Davor waren wir nur zwei Mütter, die sich über die Eiskunstlauftrainerin ihrer Töchter hinter deren Rücken lustig machten. Bei Schulveranstaltungen hielten wir füreinander Plätze frei, und dann und wann gingen wir gemeinsam mit unseren Ehemännern in ein nettes Restaurant. Dann jedoch, eines Tages, als die Mädchen in Emmas Zimmer spielten, erzählte mir Charlotte, dass sie und Sean nun schon seit einem Jahr versuchten, schwanger zu werden – ohne Erfolg.
»Ich habe alles gemacht«, gestand sie mir. »Von speziellen Diäten bis hin zu irgendwelchen vermeintlichen Wundermittelchen aus Zeitschriften …«
»Und hast du auch einen Arzt aufgesucht?«, fragte ich.
»Nun«, antwortete sie, »ich habe darüber nachgedacht, zu dir zu gehen.«
Ich nahm damals keine Patienten an, die ich persönlich kannte. Egal, was manche sagen, man kann unmöglich objektiv sein, wenn vor einem jemand auf dem OP -Tisch liegt, den man gernhat. Natürlich kann man argumentieren, dass das Risiko bei der Geburtshilfe stets hoch ist – und ich gab jedes Mal hundert Prozent, wenn ich ein Kind auf die Welt holte –, aber wenn man eine persönliche Verbindung zu der Patientin hat, steht nur umso mehr auf dem Spiel. Wenn man in so einem Fall scheitert, hat man nicht nur bei einer Patientin versagt, sondern bei einer Freundin.
»Ich glaube nicht, dass das eine sonderlich gute Idee ist, Charlotte«, sagte ich. »Diese Grenze würde ich nur ungern überschreiten.«
»Du meinst von wegen, wenn du erst einmal deine Hand in meiner Vagina hattest, kannst du mir beim Shoppen nicht mehr in die Augen sehen?«
Ich grinste. »Nein, das ist es nicht. Hast du einen Uterus gesehen, kennst du sie alle«, erwiderte ich. »Ein Arzt sollte jedoch stets in der Lage sein, Distanz zu wahren, und sich nicht persönlich engagieren.«
»Aber genau deswegen bist du ja so perfekt für mich«, argumentierte Charlotte. »Jeder andere Arzt würde uns zwar helfen, schwanger zu werden, sich ansonsten aber einen Dreck darum kümmern. Ich möchte jemanden, der uns nicht nur auf professioneller Ebene betreut. Ich möchte jemanden, der dieses Baby genauso sehr will wie ich.«
Wenn sie es so ausdrückte – wie hätte ich ihr da widersprechen können? Ich rief Charlotte jeden Morgen an, um mit ihr die Leserbriefe in der Lokalzeitung zu sezieren. Wenn ich wütend auf Rob war und Luft ablassen musste, lief ich als Erstes zu ihr. Ich wusste, was für ein Shampoo sie benutzte, auf welcher Seite ihres Wagens der Tankdeckel war und wie sie ihren Kaffee trank. Charlotte war eben meine beste Freundin. »Okay«, sagte ich.
Ein breites Lächeln brachte ihr Gesicht zum Leuchten. »Und? Fangen wir direkt an?«
Ich brach in lautes Lachen aus. »Nein, Charlotte, ich werde keine Vaginaluntersuchung auf meinem Wohnzimmerteppich vornehmen, während oben die Mädchen spielen.«
Stattdessen bat ich sie am nächsten Tag in meine Praxis. Wie sich herausstellte, waren die medizinischen Voraussetzungen für eine Schwangerschaft gegeben. Wir sprachen darüber, wie weit die Eier an Qualität verloren, sobald die Frau die dreißig überschritt, was wiederum
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