Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
jedenfalls nicht, solange wir ihr nichts Konkretes sagen konnten. Mir kam der Gedanke, dass Amelia etwas erwähnen könnte, nun, da die Schule wieder begonnen hatte … aber andererseits wusste Amelia vielleicht gar nicht, was ihre Eltern da veranstalteten.
Ich setzte mich auf den Toilettendeckel und schaute den Mond an. Voll und orangefarben schien er auf der Fensterbank zu balancieren. Sein Licht fiel ins Badezimmer, verbreitete sich auf dem Fliesenboden und sammelte sich in der Badewanne. Es dauerte nicht mehr lange bis zum Sonnenaufgang, dann musste ich wieder zur Arbeit und mich um Patientinnen kümmern, die entweder schon schwanger waren oder es werden wollten – und das zu einem Zeitpunkt, da ich mir meines eigenen Urteils nicht mehr sicher sein konnte.
Die wenigen Male, wo ich so aufgeregt gewesen war, dass ich nicht hatte schlafen können – wie zum Beispiel nach dem Tod meines Vaters oder als eine meiner Angestellten mehrere Tausend Dollar aus der Praxiskasse gestohlen hatte –, hatte ich Charlotte angerufen. Eigentlich war ich diejenige von uns beiden, die regelmäßig wegen irgendeines Notfalls mitten in der Nacht angerufen wurde, aber sie hatte sich nie beschwert. Tatsächlich hatte sie sich sogar so verhalten, als hätte sie mit dem Anruf gerechnet, und obwohl sie am nächsten Tag tausend Dinge mit Willow oder Amelia hatte erledigen müssen, war sie stundenlang mit mir wach geblieben, und wir hatten über alles Mögliche gesprochen, bis ich mich wieder beruhigt hatte.
Ich leckte mir die Wunden, und ich wollte meine beste Freundin anrufen … nur leider war sie es diesmal, die diese Wunden geschlagen hatte.
Ein Weberknecht kroch die Wand hinauf. Je mehr er sich der Decke näherte, desto faszinierter sah ich zu. Dann schob er zwei Beine um die Kante der Tapete, wo sie sich vom Mauerwerk gelöst hatte.
Ich hatte Rob schon tausend Mal gebeten, die Stelle zu kleben, aber er hatte mich ignoriert. Doch wo ich sie mir jetzt so ansah – richtig ansah –, bemerkte ich, dass mir die Tapete eigentlich nie gefallen hatte. Was wir brauchten, war ein neuer Anfang. Ein schöner neuer Anstrich.
Ich stellte mich auf den Badewannenrand, griff mit der rechten Hand nach oben und riss ein langes Stück Tapete herunter.
Der größte Teil der Bahn klebte allerdings noch an der Wand.
Was verstand ich auch vom Entfernen einer Tapete?
Was verstand ich überhaupt?
Ich brauchte ein Dampfgerät. Nur würde ich um drei Uhr morgens keins bekommen. Also drehte ich die Wasserhähne an Badewanne und Waschbecken auf, stellte sie auf heiß und wartete, bis der Raum sich mit Dampf gefüllt hatte. Dann versuchte ich, meine Fingernägel unter den Rand der Tapete zu zwängen.
Plötzlich strömte kalte Luft herein. »Was machst du denn da?«, fragte Rob verschlafen.
»Ich ziehe die Tapete ab.«
»Mitten in der Nacht? Piper …«, seufzte er.
»Ich konnte nicht schlafen.«
Er drehte das Wasser ab. »Du musst es wenigstens versuchen.« Rob nahm mich an die Hand und führte mich wieder zum Bett, wo ich mich hinlegte und die Decke über mich zog. Dann drehte ich mich auf die Seite, und er schlang den Arm um meine Hüfte.
»Ich könnte das Badezimmer renovieren«, flüsterte ich, als Robs Atmen mir verriet, dass er wieder schlief.
Charlotte und ich hatten letzten Sommer einen ganzen Tag lang in der Küche gesessen und jede Bad- und Renovierungszeitschrift gelesen, die wir bei Barnes and Nobles hatten finden können. Vielleicht solltest du ja einen minimalistischen Ansatz verfolgen , hatte Charlotte vorgeschlagen und dann weitergeblättert. Oder wie wäre es mit französischem Landhausstil?
Besorg dir eine Lüftungsanlage , schlug sie vor, eine Toilette von TOTO und einen beheizten Handtuchhalter.
Ich hatte gelacht. Aha. Ich soll also eine zweite Hypothek aufnehmen, ja?
Wenn ich mich mit Guy Booker aus der Kanzlei traf, würde er dann Inventur in diesem Haus machen? Von unseren Geldanlagen, Emmas Collegegeld und all den anderen Besitztümern, die man uns bei einem Vergleich nehmen konnte?
Morgen, beschloss ich, würde ich mir eines dieser Dampfgeräte holen und was ich sonst noch brauchte, um die verdammte Tapete runterzuholen. Ich würde das alles ganz alleine schaffen.
»Ich glaube, ich habe einen Bock geschossen«, gab ich zu, als ich mich Guy Booker gegenüber an den imposanten, blank polierten Konferenztisch setzte.
Mein Anwalt hatte was von Cary Grant: weißes Haar mit rabenschwarzen Schläfen,
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