Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
wenn ich komme und das Baby segne. Haben Sie etwas dagegen?« Er hob die Hand und hielt sie über meinen Bauch.
Ich schüttelte den Kopf. Einen Segen würde ich nie ablehnen. Aber während Pater Grady seinen Segen sprach, schickte ich mein eigenes Gebet zum Himmel: Lass mich sie behalten, und du kannst dir alles andere nehmen, was ich besitze.
Nachdem er ein Heiligenbildchen auf den Nachttisch gestellt und versprochen hatte, für uns zu beten, verabschiedete er sich. Sean brachte ihn nach unten, und ich starrte das Bildchen an. Jesus hing dort am Kreuz. Er hatte Schmerzen erlitten, wurde mir plötzlich klar. Er wusste, wie es sich anfühlte, wenn ein Nagel durch die Haut drang und den Knochen spaltete.
Zwanzig Minuten später hatte ich mich geduscht und angezogen. Ich fand Sean am Küchentisch. Er hatte den Kopf in die Hände gelegt und sah so niedergeschlagen aus, so hilflos. Ich hatte einzig und allein an das Baby gedacht und nicht gesehen, was er durchmachte. Er hatte es zu seinem Beruf gemacht, andere Menschen zu beschützen, doch für sein eigenes, ungeborenes Kind konnte er nichts tun. »Du bist aufgestanden«, verkündete er das Offensichtliche.
»Ich dachte, ich könnte vielleicht ein wenig spazieren gehen.«
»Gut. Frische Luft. Ich werde dich begleiten.« Er stand so rasch auf, dass er fast den Stuhl umwarf.
»Weißt du«, sagte ich und versuchte mich an einem Lächeln, »ich muss ein wenig allein sein.«
»Oh … ja … kein Problem«, sagte er, wirkte aber gekränkt. Irgendwie verstand ich die Situation nicht mehr. Wir saßen in demselben zerbrechlichen Boot, und doch fühlten wir uns so weit voneinander entfernt. Wie war das möglich?
Sean nahm an, dass ich erst einmal einen klaren Kopf bekommen und nachdenken müsse. Aber Vater Gradys Besuch hatte mich an eine Frau erinnert, die vor einem Jahr aufgehört hatte, in die Kirche zu gehen. Sie lebte eine halbe Meile die Straße hinunter, und dann und wann sah ich sie, wenn sie den Müll hinausbrachte. Ihr Name war Annie, und ich wusste nur, dass sie schwanger gewesen war, und eines Tages war sie es nicht mehr gewesen. Von da an war sie auch nicht mehr zur Messe gegangen. Gerüchten zufolge hatte sie das Kind abtreiben lassen.
Ich war katholisch erzogen worden. Ich war bei Nonnen in die Schule gegangen. Wir hatten Mädchen gehabt, die plötzlich schwanger geworden waren, und die waren entweder sang- und klanglos aus der Klasse verschwunden oder für ein Jahr ins Ausland gegangen, um anschließend wesentlich ruhiger und scheuer zurückzukehren. Doch trotz alledem hatte ich seit meinem achtzehnten Lebensjahr immer die Demokraten gewählt. Und ich war fest überzeugt, dass Frauen in allem eine Wahl haben sollten.
Annies Haus war gelb, und im Sommer stand der Garten voller Lilien. Ich ging zur Haustür, klopfte und fragte mich, was ich eigentlich sagen wollte, wenn sie aufmachte. Hi, ich bin Charlotte. Warum hast du das getan?
Ich war erleichtert, als niemand öffnete. Die ganze Idee kam mir immer dümmer vor. Ich war schon auf dem Weg zurück zur Straße, als ich plötzlich eine Stimme hinter mir hörte. »Oh, hi. Ich dachte, ich hätte jemanden auf der Veranda gehört.« Annie trug Jeans, ein ärmelloses rotes T-Shirt und Gartenhandschuhe. Das Haar hatte sie hinter dem Kopf zu einem Knoten zusammengebunden, und sie lächelte. »Sie wohnen weiter die Straße hinauf, nicht wahr?«
Ich schaute sie an. »Mein Baby ist nicht gesund«, platzte ich heraus.
Annie verschränkte die Arme vor der Brust, und das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. »Tut mir leid«, sagte sie hölzern.
»Die Ärzte haben mir gesagt, wenn sie überlebt – wenn –, dann wird sie schwer krank sein. Unheilbar krank. Ich sollte gar nicht daran denken, aber ich verstehe einfach nicht, warum es eine Sünde sein soll, wenn man nicht will, dass jemand leidet, den man liebt.« Ich wischte mir mit dem Ärmel übers Gesicht. »Ich kann das meinem Mann nicht sagen. Nicht einmal, dass ich lediglich darüber nachdenke.«
Annie scharrte nervös mit dem Fuß. »Meine Tochter wäre heute zwei Jahre, sechs Monate und vier Tage alt«, sagte sie. »Es stimmte etwas nicht mit ihr – es war genetisch bedingt. Sie wäre stark zurückgeblieben gewesen. Wie ein sechs Monate altes Baby … ihr Leben lang.« Sie atmete tief durch. »Es war meine Mutter, die mich dazu überredet hat. Sie hat gesagt: Annie, du kannst ja kaum für dich sorgen. Wie willst du dich dann um so ein Baby kümmern?
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