Zerelf (Von den Göttern verlassen) (German Edition)
einem Schwung aus einem toten Winkel und Serena schaffte es nicht rechtzeitig auszuweichen. Das Schwert erwischte sie. Vom Aufprall mit voller Wucht an die Wand geworfen, wurde jedes bisschen Sauerstoff aus ihren Lungen gepresst. Ein lautes Knacken war zu hören, als der Schmerz sich in ihren Lungen wie eine Explosion ausbreitete und ihre Kehle in einem Schrei verließ.
Das kleine Mädchen brüllte den ihr unbekannten Schmerz heraus, während auf ihren Wangen Tränen hinunterliefen. Zorghk war sofort neben ihr und untersuchte sie. Schuldbewusst wich er ihrem Blick aus. Als er ihre Rippen entlang tastete, um zu sehen, ob etwas gebrochen war, wimmerte das kleine Mädchen auf. Ihr Blick war verklärt von einem Schleier aus Schmerz. Schmerz ... Ein jubelndes Gefühl des Triumphs breitete sich in Zorghk aus. Er wollte es hinausschreien. Sie hatte Schmerzen ... Sie empfand SCHMERZEN ... Sie EMPFAND ...
Auch wenn er Serena danach noch oft an ihre Grenzen brachte, ließ Zorghk es nie wieder so weit kommen. Es war schwer zu erkennen, wo die Linie war, vor allem da die Anzeichen der Übertretung erste auftraten, wenn es bereits zu spät war. Manchmal wenn Zorghk in die leeren Augen des Kindes blickte und wieder die Befürchtung hochkam, eine eiskalte Kampfmaschine zu trainieren, zwang er sich an das kleine Mädchen zu denken, das mit feuchten Wangen gekrümmt und wimmernd am Boden lag.
Um sich und sein Gewissen zu beruhigen war er gekommen und unterrichtete die Tochter des Mannes, dem er so viel zu verdanken hatte und der ihm doch so viel schuldig war. Um sich und sein Gewissen zu beruhigen, sagte er sich immer wieder, er erschaffe keine eiskalte Tötungsmaschine, Serena wäre nicht wie ihre Mutter, sie hätte Gefühle. Eine seltsame Argumentation für einen Airen in der Tradition erzogen, nie Gefühle zu zeigen, die über schlechte Laune hinausgingen. Und doch erwischte sich Zorghk Jahr um Jahr immer wieder bei der gleichen Rechtfertigung.
Mit diesen Gedanken formte Zorghk Serenas Geist und ihren Körper, gab ihr all sein Wissen weiter, so wie er es bei seiner eigenen Tochter getan hätte. Und Serena wuchs zu einer starken jungen Frau heran. Mit Erleichterung stellte Zorghk fest, dass Serena ihre Überlegenheit nie gegenüber irgendjemandem im Dorf zeigte. Auch nicht, wenn man sie beschimpfte, wenn man sie anspuckte oder absichtlich anrempelte. Nach jahrelangem Training in den Kampfkünsten der Airen gab es in Krem niemanden, der sich mit ihr hätte messen können. Selbst Zorghk hätte Schwierigkeiten, sie zu bändigen, was er jedoch weder sich noch einer anderen Seele je eingestehen würde. Was Serena an Kraft fehlte, machte sie mit Schnelligkeit und Gewandtheit wett.
…
So lief Serena auch heute wie jeden Abend nachts durch den Wald auf dem kleinen Trampelpfad in Richtung Krem. Sie brauchte den Mond und die Sterne nicht, um den Weg zur Stadtmauer zu finden. Sie ging diesen Weg schon über acht Jahre lang täglich und hätte ihm auch blind folgen können. Ihr Körper kannte jede Biegung, jeden neuen Ast, der aus den alten riesigen Kiefern spross. So kam sie zur üblichen Stelle der Stadtmauer. Seit die Trainingsstunden mit Zorghk sich bis nach Sonnenuntergang zogen, sah Serena sich gezwungen , nach dem Torschluss ins Dorf zu schleichen. Und der Weg hinter die Mauer führte nur über die Mauer. Die Stelle war gut gewählt. Weit genug vom Tor entfernt, sodass sie die Wache nicht sehen würde, sollte sie sich ausnahmsweise nicht im Land der Träume befinden.
Automatisch fanden Serenas Füße und Hände die kleinen Vorsprünge und Lücken in dem S teinmauerwerk. Plötzlich versteifte sich ihr Rücken und sie presste sich so nahe wie möglich an die Mauer. Sie war nicht alleine. Nicht weit von ihr waren Männerstimmen zu hören. Serena konnte nur Bruchstücke der Unterhaltung ausmachen.
„... alles nach Plan, im Nu wird mir die Kleine aus der Hand fressen ...“
„Beil dich, der Boss wird ungeduldig ...“ Ein heiseres Krächzen entrang sich einer Kehle, das im Entferntesten einem Lachen ähnelte. Dann war noch Getuschel zu hören, das Serena nicht verstand. Nur den letzten Satz vernahm Serena deutlich: „Allaba, bis zum Wiederseh‘n!“ Darauf folgten Grunzlaute und das Rascheln von Blättern und Ästen, die zertreten und umgeknickt wurden. Den Geräuschen nach zu urteilen floh gerade ein riesiger Bär in den Wald. Dann sah Serena, wie eine Gestalt im Schutze der Dunkelheit geschickt über die Mauer kletterte.
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