Zerfleischt - Der ultimative Thriller
jeder Massenmord dienen dafür als Beweis. Sogar ein Kind, das ein anderes mit einem Stock bedroht, oder ein Gangmitglied mit einem Klappmesser in einer Gasse bringen das animalische Erbe in seiner reinsten Form zum Ausdruck. Das bewaffnete Raubtier. Alles, was wir machen – angefangen mit unserem Drang, ein Revier zu finden und es zu behalten, oder Grundbesitz, bis hin zur Hackordnung und Feindschaft gegenüber denen außerhalb unserer sozialen Gruppe, der Wettbewerb um Frauen oder Männer, Rassenhass und die Angst vor Fremden –, das alles basiert auf animalischen Mustern, ob dir das passt oder nicht.«
Louis leckte seine Lippen. Sie waren sehr trocken. »Aber es wird aufhören. Es muss.«
»Und was, wenn nicht?«
Louis schaute gedankenverloren auf seine Uhr. »Ich weiß es nicht.«
»Diese Stadt ist ein perfekter Mikrokosmos für die Welt. Die Leute sehen es natürlich nicht so. Weil sie zu nahe dran sind, zu involviert, darum.« Earl arbeitete mit seiner Heckenschere und schnitt einen abstehenden Ast ab. »Man braucht eine Sicht auf die Stadt aus der Vogelperspektive, um zu verstehen, was sie krank macht. Die Leute, die hier leben, können ihr Leben nicht mehr objektiv beurteilen … Nicht mehr, als du oder ich auf unsere Köpfe schauen können.«
Louis war für so was jetzt nicht in Stimmung.
Earl Gould war ein netter, alter Herr und er war sehr klug, aber manchmal besaß er die nervende Tendenz, Sachen überzuanalysieren und überzuinterpretieren. Louis vermutete, dass es an der Tatsache lag, dass er kein Klassenzimmer mehr zu beschäftigen und keine Studenten mehr zu unterrichten hatte. Also schnappte Earl Gould sich jeden, der vorbeikam – einen Nachbarn, den Stromableser, den Typen von der Gasgesellschaft – und hielt eine ausführliche Rede über jedes Thema, von Politik über die Weltwirtschaft über Kleinstadtkultur bis hin zum Stück Unkraut, das unter der Ulme im Vorgarten wuchs. Louis wollte ihm gerne erzählen, was er alles gesehen und erlebt hatte, aber das würde bedeuten, dass er ein, zwei weitere Stunden opferte, die er einfach nicht hatte. Weil Earl jeden Beweisschnipsel exakt untersuchen und dann eine Zeit lang des Teufels Advokat spielen würde, bevor er schließlich seine These aufstellte.
Er war ein kluger Kerl, sicher, aber dafür war jetzt keine Zeit.
»Betrachte es einmal so, Louis. Es gibt Gründe und Ursachen, die wir nur erkennen, wenn wir unsere Sinne öffnen. Und die Menschen in Greenlawn können nicht über ihre Nasenspitze hinaus schauen. Gott beschütze jeden einzelnen von ihnen.« Earl lehnte sich näher über die Hecken. »Ich denke aber, dass sie Angst vor dem haben, was sie entdeckten, wenn sie es könnten. Denn kleine Gemeinden wie diese wirken auf einen Außenstehenden oft ziemlich unheimlich, was? Isoliert, voller Inzucht, inselartig, sogar paranoid. Stammeszugehörig. Oh ja, sehr stammeszugehörig. Orte wie dieser offenbaren in ihrer Vergangenheit immer eine oder zwei Perioden explosiver Gewalt. Meistens hört man nichts davon, weil Kleinstädte wissen, wie sie ihre Geheimnisse für sich behalten und wie sie ihre Keller verschließen, damit die Leichen nicht herauskommen und von entsetzten Augen angeschaut werden können.«
»Ja, wahrscheinlich hast du recht, Earl.«
»Oh, das hab ich. Darauf kannst du dich verlassen. Ich bin kein Einheimischer. Wir haben uns hier nur zur Ruhe gesetzt, weil meine Frau genau in dieser Stadt ihre Kindheit verbracht hat. Aber das ist für mich von Vorteil, oder? Keine rosa Brille oder lästige Scheuklappen an den Augen dieses alten Mannes, was? Ich kann die Funktionsweise dieser Stadt sehen, wo etwas in Verfall geraten ist und wo neues Wachstum noch entsteht. Es ist meine Aufgabe, die genaue Anatomie von Greenlawn zu inspizieren.« Er kicherte bei der Vorstellung, aber in seinem Lachen war eine Gerissenheit zu spüren, eine Dunkelheit, die gerade hinter seinen Augen aufquoll.
»Ich schätze, tief drinnen, Louis, sind die guten Bürger unserer unbescholtenen Stadt Greenlawn über nichts davon erstaunt. Ich denke, sie haben es erwartet. In der Ur-Schwärze ihrer Seelen, glaube ich, haben sie lange darauf gewartet, dass so etwas Schreckliches passiert. Und jetzt ist der Korken aus der Flasche gezogen und der ganze gegorene Saft läuft aus, verdirbt alles und jeden, der ihn berührt. Ich denke, Louis, dass manche es begrüßen, was der Tag gebracht hat und die Nacht noch bringen wird. Sie werden es als eine Unvermeidbarkeit ansehen,
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