Zero Day
Frontseite des Hauses leuchtete er den Kies mit der Maglite-Stablampe ab. Reifenspuren. Sie konnten von einem der Fahrzeuge stammen, die man hier im Rahmen der ersten Tatortbesichtigung geparkt hatte. Im Kopf rekapitulierte er die zeitliche Abfolge der Ereignisse.
Der Postbote hatte die Leichen um 14 Uhr entdeckt und die Polizei verständigt. Die ersten Beamten waren um 14 Uhr 30 eingetroffen. Zehn Minuten später war der Anruf bei der Armee eingegangen. Das war schnell gewesen. Jemand hatte Durchblick gehabt. Puller überlegte, ob es Cole gewesen sein mochte. In Kansas war er telefonisch informiert worden und hatte den Rückflug angetreten. Dank kräftigen Rückenwinds war das Flugzeug vierzig Minuten früher als vorgesehen gelandet. Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt daheim war er um 18 Uhr 40 bei der CID angelangt und um 19 Uhr 50 wieder ins Auto gestiegen. Da er wie der Teufel gefahren war, hatte er Drake um kurz nach drei erreicht; jetzt ging es auf fünf Uhr zu.
Pullers Blick fiel auf die Rollstuhlrampe. Als Mittvierziger war Matthew Reynolds noch in ausreichend guter Kondition für den aktiven Dienst in der Armee gewesen. Seine fünf Jahre jüngere Ehefrau hatte an keinerlei Gesundheitsproblemen gelitten, wie ihre Versicherungsakten bewiesen. Auch die sechzehn und siebzehn Jahre alten Kinder waren kerngesund gewesen. Keiner von ihnen hatte eine Rollstuhlrampe benötigt. Das war nicht das Haus der Familie Reynolds. Sie hatte sich aus einem anderen Anlass hier aufgehalten. Aus einem Grund, der sie wahrscheinlich das Leben gekostet hatte.
Puller betrachtete noch einmal die Reifenspuren und bemerkte einen dunklen Fleck. Genau da, wo der Motor gewesen sein musste, wenn der Fahrzeugbug nach Osten gezeigt hatte. Indem er sorgsam darauf achtete, die Reifenspuren nicht zu beeinträchtigen, kauerte Puller sich hin und berührte die Flüssigkeit. Öl. Noch warm. Erst vor ganz kurzer Zeit ausgetropft. Aus dem Streifenwagen des Tatortbewachers? Vermutlich. Aber wo war der Beamte abgeblieben?
Rasch näherte Puller sich der Haustür und bemerkte das geborstene Glas. Er schlüpfte in die Überschuhe. Die Haustür war abgesperrt, stellte für ihn aber kein Hindernis dar. Um das Schloss zu knacken, brauchte er nur drei Sekunden.
Er betrat das Haus, leuchtete mit der Stablampe rundum und hatte die andere Hand am Griff der vorn getragenen M11-Pistole. Für Puller lag es nahe, dass man gewisse Befürchtungen hegen musste, wenn man sich in ein Haus schlich, in dem jemand vier Menschen ermordet hatte und der Polizist fehlte, der das Haus bewachen sollte.
Puller gelangte ins Wohnzimmer.
Dort sah er sie im Lichtkegel seiner Lampe.
Auf der Couch. Nebeneinander aufgereiht.
Vier Leichen, von denen jede das Gewicht des Nachbarn stützte.
Puller steckte die Waffe zurück ins Holster. Er sprach, wobei er vorerst Abstand bewahrte, ins Mikrofon des Rekorders und beschrieb alles, was er sah.
Der Vater saß ganz rechts, die minderjährige Tochter ganz links; ihr Bruder und die Mutter in der Mitte, die Mutter neben dem Vater. Mit der Maglite suchte Puller vor der Couch den Teppichboden ab. Keine Blutspritzer. Er hob den Blick und richtete den Lichtstrahl auf die Köpfe.
Dem Vater war aus einer Büchse eine Ladung direkt ins Gesicht gefeuert worden; die Verletzungen zeugten von einem Nahschuss. Das Gesicht der Mutter war im Wesentlichen unversehrt, der Oberkörper jedoch in verheerendem Maße durchlöchert. Puller betrachtete die Hände der Toten und stellte fest, dass irgendetwas sie fast zur Gänze abgerissen hatte. Er zog den Rückschluss, dass die Frau die Hände hochgerissen hatte, unmittelbar bevor der Schuss gefallen war. Zwar war es völlig unmöglich gewesen, die Geschosse mit den Händen abzuwehren, aber ein derartiges Verhalten war eine instinktive Reaktion, um den Körperteil zu schützen, auf den die Waffe zielte.
Bei den zwei Teenagern ließen sich keine Wunden erkennen. Vielleicht hatte man sie in den Rücken geschossen. Die Eltern jedenfalls waren nicht im Wohnzimmer erschossen worden. Das Blut wäre durchs ganze Zimmer gespritzt. Man hatte sie irgendwo anders im Haus ermordet, ins Wohnzimmer getragen und hier aufgereiht wie eine Familie, die zusammen fernsah.
Scheußlich. Aber man musste schon ein Scheusal sein, um eine Familie hinzumetzeln.
Oder ein gewissenloser Profi.
Was möglicherweise auf das Gleiche hinauslief.
Puller trat näher, achtete sorgsam darauf, keins der Zahlenschildchen zu verrücken, mit
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