Zerrissenes Herz (German Edition)
machen.
Daisy wünschte, es gäbe ein Zeichen, einen Hinweis von oben, der ihr sagte, was sie tun solle. Falls das Universum wollte, dasssie Julian ihre Liebe gestand, würde es vielleicht ein Zeichen schicken. Ja, ein Zeichen wäre wirklich nett.
Doch der See blieb still und stumm. Nichts veränderte sich.
Dann sah sie, wie Charlie und Julian aufstanden und einander an den Händen nahmen. Bevor sie ahnte, was passieren würde, rannten sie zusammen so schnell sie konnten zum Ende des Stegs.
„Was …“
Sie sprangen gemeinsam, einander immer noch an den Händen haltend. Für den Bruchteil einer Sekunde schienen ihre Körper in der Luft zu hängen. Aus einem Reflex heraus hob Daisy die Kamera und machte ein Foto. Julian und Charlie trafen mit einem großen Platscher auf dem Wasser auf. Charlie kam sofort wieder an die Oberfläche.
„Noch mal!“, rief er. „Lass uns noch mal springen!“
Daisy schaute sich auf dem Display das Foto an, das sie eben gemacht hatte. Sie hatte sie mitten in der Luft erwischt. Beim Sprung vom Steg – etwas, von dem Charlie geschworen hatte, er würde es niemals tun.
„Vielleicht ist das mein Zeichen“, sagte sie leise.
Sie schaute den beiden zu, während sie noch ein paar Mal in den See sprangen, und machte weitere Fotos. Dann holte sie zwei große Handtücher aus dem Haus und ging hinunter zum Steg.
„Ihr seid mir vielleicht ein Paar Verrückte“, rief sie lächelnd. „Es ist nicht annähernd warm genug, um schwimmen zu gehen.“
„Hast du das gesehen, Mom? Hast du mich springen sehen?“, rief Charlie, aufgeregt im Wasser paddelnd. „Ich und Julian sind vom Steg gesprungen. Das war wie fliegen!“
„Ich hab’s gesehen. Und jetzt sehe ich, dass du dir eine Unterkühlung holst.“
„Noch einmal“, bettelte Charlie. „Schau uns noch ein einziges Mal zu!“
„Okay, aber danach ist Schluss.“
Julian hievte sich aus dem Wasser. Daisy konnte nicht anders, als ihn anzustarren; die nassen Klamotten schmiegten sich an seinen Körper und betonten jeden Muskel. Es war eine starke Erinnerungdaran, dass in ihrem Leben einige wichtige Details fehlten.
Er drehte sich um und half Charlie, auf den Steg zu klettern.
„Fertig?“, rief Charlie. „Eins, zwei …“
„Warte!“ Daisy lief zu ihm und ergriff seine freie Hand. „Jetzt sind wir fertig.“
Nach dem Essen brachte Daisy ihren Sohn zu Bett. Charlie schlief schon, bevor sein Kopf überhaupt das Kissen berührt hatte. Dann setzten sie und Julian sich ins Wohnzimmer; sie in einem Flanellpyjama, er in einem geliehenen Bademantel, der ihm einige Nummern zu klein war.
„Das war schön“, sagte sie. „Der schönste Abend, den ich seit … seit Langem hatte.“
„Ich bin Ihnen stets zu Diensten, Ma’am.“
Sie versuchte, die Nervosität abzuschütteln, aber es gelang ihr nicht. Dazu war das, was sie sagen wollte, zu wichtig. „In diesem rosafarbenen Bademantel kann ich dich nicht wirklich ernst nehmen.“
„Der Mantel ist super“, entgegnete er.
Sie strich über das Revers. „Er ist aus Chenille. Das ist mein Lieblingsmantel.“
„Das könnte ich auch sagen“, erwiderte er und öffnete den Gürtel.
Und mit einem Mal war ihre Nervosität verschwunden. „Du bist hier“, sagte Daisy. „Du bist wirklich hier.“ Sie berührte seine Arme, seine Schultern. Seinen Hals, die Wangenknochen, das Kinn. Sie berührte ihn überall, sanft und staunend. Er war hier. Er war wirklich hier .
Als sie miteinander schliefen, war es dieses Mal anders; sie waren andere Menschen, keine jungen Erwachsenen mehr, die an der Schwelle zur gemeinsamen Zukunft gestanden hatten, sondern Überlebende – jeder auf seine Art. Seine Berührungen weckten ganz neue Gefühle in Daisy – Liebe und Freude, ja, aber auch Verzweiflung. Als er ihren Körper mit seinem bedeckte, packte sie ihn, als wolle sie ihn nie wieder loslassen. Und Julian nahmsie mit einer Intensität, die an Gewalt grenzte, und das war genau das, was sie brauchte; eine Besiegelung ihrer Liebe, die das Undenkbare überdauert hatte. Es war eine Ekstase, die Daisy sich nie hätte vorstellen können und die sie vor Freude und emotionalem Schmerz weinen ließ.
„Hey“, flüsterte er. „Alles ist gut. Jetzt ist endlich alles gut.“
„Ja“, sagte sie, und dann: „Nein. Du hast mein Herz zerspringen lassen, Julian Gastineaux. Es tut immer noch weh, verstehst du das? Ich werde es nie verwinden, dass ich dich verloren glaubte. Niemals.“
„Doch, das wirst du“,
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