Zerrissenes Herz (German Edition)
traf, die man traf. Man musste das Leben, das man hatte, mit so viel Liebe und Freude wie möglich füllen.
Als ihr Blick aufs Telefon fiel, überlegte Daisy, ob sie jemanden anrufen sollte, um die guten Neuigkeiten aus Charlies Schule zu teilen. Aber mit wem? Mit Logan? Nein, so war es zwischen ihnen nicht mehr. Mit ihrer Mutter? Sonnet?
Entschlossen, vor dem Abendbrot noch eine Stunde zu arbeiten, setzte Daisy sich an den Computer. Sie musste die Bilder von drei verschiedenen Events bearbeiten, und ihre Kunden waren schon ganz ungeduldig.
Der Berg an Arbeit schien niemals kleiner zu werden. Eine wunderschöne Braut nach der anderen füllte ihren Monitor aus. Auf der letzten Hochzeit war Daisy nicht mit ganzem Herzen dabei gewesen. Ein Grund dafür, dass sie so gefragt war, war ihre künstlerische Ader. Doch in diesen Bildern war davon nichts zu sehen. Sie kamen Daisy flach und uninspiriert vor.
Unruhig drehte sie sich mit dem Stuhl herum – und hielt inne.Da, an der Pinnwand über dem Schreibtisch, hing die Hochglanzbroschüre, die den diesjährigen MoMA-Wettbewerb ankündigte. Sie hatte sie vor ein paar Tagen in ihrem Briefkasten gefunden, zusammen mit einer Notiz in Julians kräftiger Handschrift: „Nichts wie ran!“
Er kannte sie gut. Das war schon immer so gewesen. Sie hatte ihm gegenüber zugegeben, dass sie den Wettbewerb verdrängt, die Arbeit so lange vor sich hergeschoben hatte, bis der Einsendeschluss verstrichen war. Ihr Widerstreben konnte sie auf viele Faktoren schieben – Zeitmangel, andere Verpflichtungen, die Unfähigkeit, sich zu konzentrieren, der turbulente Alltag –, aber das waren alles billige Ausreden. Tatsache war, dass Daisy schlicht und einfach Angst gehabt hatte.
Ein Mann wie Julian verstand Angst nicht. Oder vielleicht verstand er sie auch nur zu gut.
„Keine Angst“, sagte sie laut und schloss die Datei mit den Hochzeitsfotos. Stattdessen öffnete sie einen Ordner namens „MoMA“ und stellte fest, dass sie sich diese Fotos seit Monaten nicht mehr angesehen hatte. Das hier ist meine Kunst, dachte sie, meine Leidenschaft. Und doch hatte sie sie vernachlässigt.
Wie leicht es war, zu ignorieren, was einem am wichtigsten war. Schon seltsam.
Als sie die Bilder nun erneut durchsah, war Daisy überrascht, wie gut sie waren. Das hatte sie regelrecht vergessen. Aber natürlich war es noch ein langer Weg von einem guten Foto zum konkurrenzfähigen Wettbewerbsbeitrag.
Sie hatte nicht viel Zeit, um zu arbeiten, aber am Ende hatte sie wenigstens einen Plan. Sie wusste, was sie bei dem Wettbewerb einreichen wollte. Keine Entschuldigungen mehr. Sie musste es einfach nur machen.
Gedankenverloren strich sie mit dem Finger über die Nachricht von Julian und sprach dann laut mit ihm, als wäre er hier bei ihr im Zimmer. „Du tust mir gut. Das hast du schon immer.“
Er war als anderer Mensch aus der Gefangenschaft zurückgekehrt. Aber sein Wesen war immer noch dasselbe. Sie liebte seineLiebe fürs Leben und seinen Mut zum Risiko. Sie liebte alles an ihm, und damit hatte sie auch nie aufgehört, nicht einmal, als sie die Nachricht von seinem Tod erhalten hatte.
Und dennoch hatten sie es wieder einmal geschafft, Opfer schlechten Timings zu werden. Immer wenn es so ausgesehen hatte, als würden sie der Sache näher kommen, als bekämen sie jetzt vielleicht endlich ihre Chance, hatte sich ihnen etwas in den Weg gestellt. Und dann war Julian ihr so schnell und überraschend entrissen worden … als wäre ihr eine Gliedmaße amputiert worden.
Und dennoch sah es jetzt so aus, als könnten sie es noch einmal wagen. Es war so viel geschehen, aber Daisy spürte die Liebe zu ihm nach wie vor wie eine immerwährende Flamme in ihrem Herzen brennen. Sie war nicht so naiv zu denken, alles würde sich wie von Zauberhand fügen, aber na und? Die letzten Jahre hatten ihr gezeigt, dass sie stärker war, als sie gedacht hatte. Sie war einfallsreich und manchmal sogar richtig klug.
Es ist zu früh, sagte ihr der gesunde Menschenverstand. Sie hatte gerade erst eine gescheiterte Ehe hinter sich. Sich jetzt mit Julian einzulassen, könnte ein großer Fehler sein. Die Leute würden den Kopf schütteln und sagen: „Natürlich hatte ihre Ehe keine Chance, nachdem Julian zurückgekehrt war …“
Andererseits, überlegte Daisy, was interessiert es mich, was die Leute sagen? Mehr noch, es war doch nichts Schlimmes daran, sich einfach mit ihm zu treffen. Sie mussten mehr Zeit miteinander verbringen.
Wovor
Weitere Kostenlose Bücher