Zerrissenes Herz (German Edition)
verdammte Brücke? Wie konnte uns das entgehen? Zum Teufel, egal, seht zu, dass ihr da rauskommt.“
Ein surrendes Geräusch lenkte Julians Aufmerksamkeit zu Ramos. Er schaute in seine Richtung und sah, wie sein Partner den Felsen hinunterstürzte. Irgendetwas hatte sich gelöst, und er befand sich im freien Fall. Seine Hände kämpften mit dem Seil.
Nein, dachte Julian. Neiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiin … Das durfte nicht passieren.
Ramos war in das dicke Laub am Fuß des Felsens gestürzt, ohne einen Laut von sich zu geben. Nur das ominöse Surren des Seils war zu hören, unweigerlich gefolgt von dem Knacken beim Aufprall. Sowohl Julian als auch Ramos trugen vierzig Pfund Ausrüstung mit sich.
Noch während Julian den Vorfall meldete, ließ er sich am Seil weiter hinunter. De Soto, eigentlich bekannt für seine Kaltblütigkeit, schwieg einige Herzschläge lang. Für Julian unterstrich dieses Zögern das, was er auch so gewusst hatte – das hier war schlecht. Ganz, ganz schlecht.
„Hol ihn, und dann nichts wie raus da!“, befahl de Soto. „Ich alarmiere den Helikopter. Over.“
„Ich bin dran. Over.“ Julian sah vor seinem geistigen Auge den Helikopter, der früher für die Bekämpfung von Waldbränden genutzt worden war und nun außerhalb des Geländes wartete, weit genug entfernt, um nicht entdeckt zu werden.
„Und lasst euch nicht umbringen.“
„Roger.“
Er schaltete das Funkgerät aus und ließ sich auf den Boden des Dschungels hinab. Ramos lag blutend im Unterholz. Ein Ast hatte sich durch seinen Arm gestoßen. Das Blut war hellrot und sprudelte im Takt seines Herzschlags – das bedeutete, es kam aus einer Arterie.
Blutungen waren immer schlimmer, als sie aussahen, das wusste Julian. Ein Blick in Ramos’ aschfahles Gesicht und seine glasigen Augen, die er verzweifelt versuchte offen zu halten, verriet ihm, dass die Wunde sehr schlimm war.
„Ich hab dich, Francisco“, sagte Julian. „Ich bin hier.“
„Hab versucht, die Blutung zu stoppen“, sagte Ramos mit dünner Stimme. „Aber meine Hand ist zu glitschig …“
„ Aguanta “, erwiderte Julian. „Halt durch.“ Er übte direkten Druck auf die Wunde aus und betete, dass der Blutverlust nicht so schlimm war, wie es aussah. Der menschliche Körper enthieltum die sechs Liter Blut. Ein Mensch konnte ohne Probleme einen halben Liter verlieren. Ein Liter Blutverlust konnte schon einen Schockzustand auslösen. Anderthalb … Julian drückte stärker auf die Wunde. Mit der anderen Hand drückte er über dem Ellbogen zu, dort, wo die Oberarmarterie verlief, wie er gelernt hatte. Das Blut lief langsamer, es hörte aber nicht auf zu fließen.
Er schaute sich noch einmal um. Auf gar keinen Fall könnte er mit einem dermaßen stark blutenden Ramos wieder hochklettern.
„Wir sind auf dem Gelände“, murmelte er. Er erblickte einen hohen, mit Stacheldraht bewehrten Maschendrahtzaun. „Bis jetzt hat uns niemand gesehen. Wir können genauso gut hier warten.“
„Nur wir und die Jaguare“, sagte Ramos.
Julian schaffte es, einen groben Verband anzulegen, den er mit seinem Gürtel befestigte. Er wollte keine Aderpresse anlegen, weil das eventuell dazu führen konnte, dass sein Kumpel den Arm verlor. Er ließ Ramos so viel Wasser trinken, wie er ertragen konnte. In dem sie umgebenden Wald sausten bunte Vögel tschilpend umher. Julian benutzte den stummen Code, um die Basis über ihre Situation aufzuklären. Ein satellitengestütztes GPS würde sie zum Helikopter führen. Er hoffte nur, dass seine Drahtschere stark genug war, um den Maschendrahtzaun zu durchtrennen.
„Erzähl mir von deiner Familie!“, bat er Ramos und überprüfte ihren Trinkwasservorrat.
„Das sagst du nur, um mich bei Bewusstsein zu halten.“
„Sprich einfach. Stell dir vor, wir sitzen in der Cantina in Calle Roja, trinken Bahia-Bier aus langhalsigen Flaschen, die direkt aus einer Kiste voller Eis serviert werden.“
„Ich habe dir bereits alles erzählt.“
„Dann erzähl es mir noch einmal.“
Ramos seufzte. „Meine Eltern wollten mich verheiraten, okay? Ein Mädchen aus einer wohlhabenden Familie finden, das michnach oben bringt. Sie haben nie verstanden, dass das Herz so nicht funktioniert. Man kann nicht losziehen und jemanden finden. Das Herz bringt einen dahin, sí ?“
„Ja“, antwortete Julian und dachte an all die Jahre, in denen er versucht hatte, sich seine Liebe zu Daisy auszureden. „Du bist klüger, als du aussiehst, amigo
Weitere Kostenlose Bücher