Zerrissenes Herz (German Edition)
befriedigen,hatte der Trip in Daisy nur den Hunger nach mehr geweckt.
Etwas in dem Foto von Avalon drückte diese unterschwellige, innere Rastlosigkeit aus, die durch die feinen Justierungen, die sie mit ihrem Bildbearbeitungsprogramm gemacht hatte, nur ein kleines bisschen gemildert wurde. Sie hatte das Gefühl, dass dieses Bild für sie als Künstlerin sehr wichtig war.
Die Fliegengittertür schnappte zu wie eine Mausefalle und erschreckte Daisy.
„Hey, Babe!“, rief Logan, der mit Charlie im Schlepptau aus dem Garten kam. „Mein Kumpel hier und ich haben darüber gesprochen, heute Nachmittag zum Spiel der Hornets zu gehen. Was sagst du dazu?“
„Ja, Mom“, fiel Charlie ein. „Sag Ja!“
Die Aussicht auf einen Nachmittag im Stadion berührte genau das gemischte Gefühl, über das sie gerade nachgedacht hatte. Gemeinsame Zeit mit Charlie und seinem Dad war unbezahlbar, doch gleichzeitig hatte sie nur begrenzt Zeit, um an ihrem Portfolio zu arbeiten. Am Abend musste sie auf einer Hochzeit fotografieren, was leichte Hektik zwischen dem Ende des Spiels und dem Beginn ihrer Arbeit vorprogrammierte. Sie musste das Portfolio für den Rest des Tages zurückstellen.
„Nun“, sagte sie. „Ich bin gerade dabei, die letzten Feinheiten an den Büchereifotos auszuarbeiten.“ Sie zeigte auf den Monitor, gespannt, was die beiden sagen würden.
„Nett“, kommentierte Logan.
„Hübsch, Mom.“ Das war Charlie. „Können wir dann also gehen?“
Sie schaute die beiden an, die sich mit dem rostroten Haar, den grünen Augen und den hinreißend tragischen Mienen so ähnlich sahen. „Sicher“, antwortete sie. „Ich kann das hier auch ein andermal zu Ende machen.“ Sie wirbelte in dem Stuhl herum und sicherte ihre Arbeit, indem sie in dem aufpoppenden Fenster auf „Ja“ klickte.
In dem Moment, in dem sie die Maustaste drückte, bemerkte sie ihren Fehler. In dem Fenster hatte gestanden: „Sind Sie sicher,dass Sie alle Änderungen verwerfen möchten?“ Und so hatte sie gerade wertvolle Stunden nicht wiederherzustellender, penibelster Feinarbeit ausgelöscht.
Ihr Herz schien bis zu ihrem schmerzenden Magen zu sinken. Es gab nichts – nichts –, das so frustrierend war, wie zu wissen, dass die Arbeit, die man geleistet hatte, verloren war. Und mit ihr die Energie, die sie inspiriert hatte. „Ich kann nicht glauben, dass ich das gerade getan habe. Ich habe meine ganzen Änderungen verworfen und bin wieder da, wo ich angefangen habe – bei den Rohdaten.“
„Für mich sieht es genauso aus wie vorher“, kommentierte Logan mit einem Blick auf den Monitor. „Komm, wir müssen los.“
Sie biss sich auf die Lippe. Es war nicht Logans Aufgabe, ihren teuren Fehler zu verstehen und zu bedauern. Wenn Logan nicht wäre, hätte sie überhaupt keinen ganzen Samstagvormittag Zeit gehabt, um an dem Bild zu arbeiten. „Okay. Dann also ein Spiel der Hornets.“ Sie zwang sich, fröhlich zu klingen.
„Heute ist der George Bellamy Memorial Day“, erinnerte Logan sie.
„Oh Mann, das habe ich total vergessen. Natürlich will ich den nicht verpassen!“
„Wer ist George Bellamy?“, fragte Charlie und setzte sich seine geliebte Hornetskappe auf.
„Der ältere Bruder von deinem Urgroßvater. Wir haben ihn nicht kennengelernt, weil wir in Deutschland gewesen sind, als er zu Besuch gekommen ist.“
„Werden wir ihn heute sehen?“
„Nein, er ist gestorben. Ein Memorial Day bedeutet, dass man an dem Tag jemandes gedenkt.“ George hatte der Stadt eine Erbschaft hinterlassen, die das Stadion für sehr, sehr lange Zeit finanzieren würde.
„Ich hasse es, wenn Menschen sterben“, bemerkte Charlie.
Daisy zuckte zusammen. Er hatte ja so recht. Die Zeit hatte die brennende Schärfe von Julians Verlust gemildert. Und doch tauchte immer wieder eine Erinnerung an ihn auf und traf sie unvermitteltmitten ins Herz. „George war sehr alt“, erklärte sie. „Und krank. Dein Urgroßvater wird sich aber freuen, uns heute zu sehen. Wir sollten jetzt auch wirklich mal los.“
Sie betrachtete sich kurz im Spiegel. Die Beine hatte sie frisch rasiert, das Haar am Morgen gewaschen. Nicht so schlecht. Seit sie ihre Beziehung mit Logan vertieft hatte, genoss sie es wieder, ihre weibliche Seite zu zeigen. Sich um sich selbst und ihren Körper zu kümmern hatte eine ganz neue Bedeutung für sie gewonnen. „Willkommen zurück im Land der Lebenden“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild.
Die Avalon Hornets waren der Stolz und die Freude
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