Zersetzt - Thriller (German Edition)
oder Muster an Muster, und ab und zu entstand dadurch ein richtiges Bild.
»Das dürfen Sie mir nicht sagen, aha, möchte inkognito bleiben … läuft nur über die Hausverwaltung«, wiederholte Julia. Als sie das Gespräch beendet hatte, fiel ihr Blick auf ihr Gekritzel. Bei genauerer Betrachtung konnte man eine Frau und ein großes Kreuz dahinter erkennen. Sie ließ den Zettel fallen, ging in die Küche, nahm sich ein großes Glas Wasser und schluckte eine der kleinen, blauen Beruhigungspillen.
***
Alles, was Rang und Namen hat, ist wohl in der Friedrichstraße angesiedelt, dachte Julia und sah sich den renovierten Altbau an. »Patientenbeauftragter der Bundesregierung 6. OG«, stand auf dem Schild an der Eingangstür. In Anbetracht der letzten Ereignisse atmete Julia ein paar Mal tief ein und wieder aus, ließ den Lift links liegen und nahm die Treppe. Sie beschloss, dass ihr eine Trainingseinheit Stepper gut tun würde, und hüpfte schwungvoll nach oben. Bereits im zweiten Stockwerk signalisierte ihre Atmung, dass sie das Tempo nicht bis in das sechste Obergeschoss durchhalten würde, demzufolge schaltete sie einen Gang zurück.
»Das hätten Sie in das Wahlprogramm mit aufnehmen müssen ... eine andere Wahlkampfstrategie?«, hörte Julia, als sie schnaubend in der vierten Etage angekommen war. Jetzt beschleunigte sie wieder, denn sie wollte unbedingt die dazugehörigen Gesichter kennenlernen. Fünfte Etage.
»Oppositionelle Partei, ja aber gerade dann …« Das Brennen in Julias Oberschenkeln setzte ein. Noch zwanzig Stufen. Zwei breitschultrige verschwitzte Männer quetschten einen sperrigen Schreibtisch an Julia im Treppenhaus vorbei.
»… ja, natürlich ist das wichtig…« Noch zehn Stufen.
»Aber die Gesundheit …«, hallte es laut durchs Treppenhaus. Als Julia wie ein kleines Kind über ihren Schnürsenkel stolperte, waren es noch fünf Stufen bis zur sechsten Etage. Die Feuerschutztüren des Treppenhauses waren mit einem Holzkeil weit geöffnet und gaben ihr den Blick zu den fast verschlossenen Fahrstuhltüren frei.
Ein etwa 1,90 Meter großer älterer Herr stand vor dem Aufzug. Er drehte sich zu Julia, die sich zwingen musste nicht zu hecheln, und ging auf sie zu.
»Guten Tag, mein Name ist Hermann Zacher, möchten Sie zu mir?« Trotz seiner stattlichen Größe wirkte er durch den nach vorne gebeugten Gang jetzt viel kleiner. Die Lachfalten konnten nur kurz von seinen schattigen Augenringen ablenken, und Julia blickte in ein sorgenvolles und niedergeschlagenes Gesicht.
»Ja, mein Name ist Julia Hoven, wir haben einen Termin«, schnaufte Julia.
Im Vorzimmer seines Büros war eine ältere Dame augenscheinlich so in ihre Arbeit vertieft, dass sie Julia erst bemerkte, als diese ein freundliches »Guten Morgen« schmetterte. Herr Zacher bestellte bei seiner Sekretärin Kaffee, ging in sein Büro und setzte sich hinter einen wuchtigen Mahagoni-Schreibtisch.
»Ich hoffe, es stört Sie nicht, aber das muss jetzt einfach sein«, seufzte Zacher, stopfte seine Pfeife mit einem angenehm duftenden Vanilletabak und zündete sie genüsslich an.
»Kein Problem«, antwortete Julia, setzte sich auf den gegenüberstehenden Stuhl und rauchte in Gedanken eine Zigarette mit. Nach dem ersten genüsslichen Paffer holte Zacher tief Luft.
»So, jetzt schießen Sie mal los, was kann ich für Sie tun?«
Julia erzählte die Geschichte ihres Vaters. Sie hatte sich nicht als Journalistin angemeldet, sondern, wie von Robert empfohlen, als besorgte Tochter. Ohne Unterbrechung hörte Hermann Zacher gespannt zu, lehnte sich wieder zurück und zog an seiner Pfeife.
»Grotesk, dass Sie gerade heute …« Die Sekretärin brachte den Kaffee und stellte die Tassen mit einem freundlichen:
»Bitteschön, Zucker und Milch nehmen Sie bitte selbst«, ab.
»Über die schadhaften Prothesen hat die Presse ausführlich berichtet. Sie wurden vom Markt genommen. Leider gibt es einige tausend Betroffene, wie mich.« Zacher räusperte sich und löffelte Zucker in seine Tasse.
»Sie auch?«
»Ja, nach dem Presseaufruf habe ich mich gezielt untersuchen lassen.« Seine Hände zitterten, als er den Endoprothesenpass aus der Lade zog.
»Aber bei mir kommt ein Austausch nicht in Betracht, das Herz… Entschuldigung, dass ich mich dazu verleiten ließ… hier geht es nicht um mich, sondern um Ihren Vater und die anderen Betroffenen.« Trotz der Melancholie in seiner Stimme war sie ruhig und angenehm. Ein Mensch, dem
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