Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
einverstanden?«
Unwillkürlich muss ich lächeln, denn ganz offensichtlich handelt er wider besseres Wissen. Mit so viel Entgegenkommen hätte ich gar nicht gerechnet. »Okay.«
Ich schwinge mich aufs Motorrad, nehme noch die letzten Kurven und tatsächlich sind wir auf dem richtigen Weg, mein Gedächtnis hat mich nicht im Stich gelassen. Als wir den Pfad erreichen, wo Ben vermutlich trainieren wird, ist der Himmel noch dunkel. Wir verstecken die Motorräder und warten im Schutz der Bäume.
Die Morgendämmerung beginnt und vertreibt allmählich das Dunkel der Nacht. Von Ben keine Spur. Ich habe einen dicken Kloß im Hals und will gerade schon zu Katran sagen, dass ich mich wohl getäuscht habe, als er mich am Arm packt.
»Da«, raunt er und zeigt zum Hügel. Eine einsame Gestalt kommt auf uns zugelaufen, die aufgehende Sonne im Rücken. Unsicher blinzele ich und … ja. Er ist es! Und als er vorbei ist, kann ich gar nicht schnell genug aus dem Wald kommen, grinsend wie ein Honigkuchenpferd setze ich ihm hinterher.
Ben kann vielleicht laufen. Schon immer. Ich mache ordentlich Tempo. Er muss etwas gehört haben, denn er sieht sich kurz nach mir um.
Vielleicht erkennt er mich im Gegenlicht nicht. Ich lege noch einen Zahn zu. »Warte doch«, rufe ich leise. »Ben, warte.«
Er stoppt ab.
Ich hole ihn ein.
»Ja?«, fragt er.
Mit einem strahlenden Lächeln schaue ich ihm in die braunen Augen mit den goldenen Sprenkeln. Ich nehme seine Hand. Er sieht auf unsere Hände und lächelt beinahe.
Langsam dämmert es mir. Irgendetwas stimmt hier nicht.
»Ben?«
»Tut mir leid, da verwechselst du mich mit jemandem.«
»Nein, ganz bestimmt nicht.« Ich halte seine Hand noch fester.
Er schüttelt den Kopf und entzieht sie mir. »Sorry, aber ich bin nicht Ben. Und jetzt muss ich weiter, ich bin spät dran.« Und weg ist er. Läuft einfach davon. Ich bleibe zurück, sehe ihm hinterher und jede Bewegung ist die von meinem Ben. Tränen laufen über meine Wangen.
Er weiß nicht, wer ich bin.
Er kann sich an nichts erinnern.
Ich bin am Boden zerstört. Ben ist zum zweiten Mal geslated worden. Das ist die einzige Erklärung. Aber er ist doch schon 17. Eigentlich ist das nur bei Jugendlichen unter 16 erlaubt. Warum sollten die Lorder seinetwegen ihre Gesetze brechen?
Er weiß nicht, wer ich bin.
Noch immer stehe ich zitternd da. Vielleicht dreht Ben um und läuft den gleichen Weg zurück. Mit diesem Gedanken stolpere ich ins Gebüsch und warte. Kurz darauf taucht Ben in der Ferne auf. Nähert sich in seinem anmutigen Laufstil und ist im nächsten Moment schon den Hang hinauf.
Hinter mir raschelt es, doch ich schaue nur Ben hinterher, der im Licht der aufgehenden Sonne verschwindet.
»Rain?«, ruft Katran leise.
Ich rühre mich nicht von der Stelle, er soll meine Tränen nicht sehen. Katran fasst mich am Arm und dreht mich zu sich um.
»Was ist denn?«
Ich bringe keinen Ton heraus, schüttele nur den Kopf. Zögernd zieht er mich in seine Arme, anfänglich etwas steif und unbeholfen. Und schluchzend erzähle ich ihm von Ben, der sich nicht mehr an mich erinnert.
Endlich schiebt Katran mich auf Armeslänge von sich und sieht mir in die Augen. »Du musst dich jetzt zusammenreißen. Hier können wir auf keinen Fall bleiben. Es wird schon hell, und wer weiß, wer sonst noch alles aufkreuzt.«
Katran schleift mich durch den Wald zu den Motorrädern und wir fahren am Kanal entlang zurück. Von der kalten Luft brennen mir die Augen und ich kann kaum klar sehen. Immer wieder gehen mir dieselben Worte durch den Kopf.
Ben ist verloren.
Obwohl auch ich geslated wurde, ist ein Teil meiner Erinnerungen zurückgekehrt. Das habe ich Nico zu verdanken. Bei Ben wird das anders sein. So funktioniert das nämlich nicht. Für ihn hat es mich nie gegeben. Was zwischen uns gewesen ist, existiert nicht mehr für ihn. Er kann sich an nichts erinnern.
Ben ist verloren.
Meine Tränen sind versiegt, zurück bleibt eine Leere. Ansonsten gibt es nichts. Keine Hoffnung. Keinen Ausweg.
Als wir zum Versteck kommen, stehe ich nur unbeteiligt daneben, während Katran mein Motorrad verstaut.
»Was hast du dir nur dabei gedacht, ihn aufzusuchen?« Er schüttelt den Kopf, ganz der alte Katran.
Ich bleibe stumm. Provozierend knufft er mich in den Arm.
»Erst erzählst du uns, dass du hinter Free UK stehst, dann bringst du so was. Setzt alles aufs Spiel. Und wenn ich nicht dabei gewesen wäre und du geschnappt worden wärst? Die würden doch alles
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