Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
mich mehr wie ich selbst. Wer immer das sein mag. Aber als meine Schritte heute über den Asphalt donnern, scheint mir die Idee plötzlich nicht mehr so toll. Es erinnert mich nur daran, wie ich mit Ben zur Gruppe gerannt bin.
Mit dem Joggen haben wir unsere Levos ausgetrickst. Wenn man sich bis zur Erschöpfung verausgabt, werden lauter Glückshormone ausgeschüttet, und so konnten wir auch über Unerfreuliches nachdenken und reden, ohne dass unsere Werte fielen. Aber das war nicht der einzige Grund: Ben liebte das Laufen. Mehr noch als ich. Es gehörte zu ihm.
Mir versagen die Beine, fast stolpere ich: Das Laufen gehört immer noch zu Ben.
Ich bremse ab. Was hat das zu bedeuten? Neben dem Kummer hat die ganze Zeit etwas anderes an mir genagt, nämlich die Sache mit Bens Vorlieben. Ich hatte vermutet, dass Ben morgens am Kanal trainieren würde, weil ich ihn so gut kenne. Das heißt doch, dass von dem alten Ben noch etwas übrig sein muss.
Ich zwinge mich, den gestrigen Morgen noch einmal minutiös durchzugehen. Bislang hatte ich das vermieden. Ben hat mich nicht erkannt, also bin ich automatisch davon ausgegangen, dass er noch einmal geslatet wurde. Zwar habe ich kein neues Levo entdeckt, aber bei den langen Ärmeln hätte man das auch nicht gesehen.
Doch irgendetwas ist hier faul. Wenn er frisch operiert wäre, hätte er sich dann nicht wie alle neue Slater aufgeführt? Glücklich mit einem dämlichen Grinsen im Gesicht? So lange kann es schließlich nicht her sein. Aber er hat sich gar nicht so benommen, ganz im Gegenteil, er war eigentlich noch ernster als sonst. Slating scheidet also aus, es muss etwas anderes sein.
Unterwegs auf der vereisten Straße bin ich so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht merke, wie kalt es eigentlich ist, jetzt, wo ich nicht mehr laufe. Hin und wieder tauchen Lichter hinter mir auf, die Scheinwerfer vorbeiziehender Fahrzeuge, PKWs und dann ein Van.
Als ich um die Ecke biege, parkt der Van am Straßenrand.
Ein weißer Van.
Auf dem Best Builders steht.
Lauf weg!
Kaum ist mir der Gedanke gekommen, greifen aus der Dunkelheit auch schon Hände nach mir.
Augenblicklich will ich herumfahren und zutreten, doch auf der anderen Straßenseite nähert sich ein Wagen. Im Licht der Scheinwerfer lässt er mich los und da bestätigt sich auch mein Verdacht, es ist Wayne.
Aber er hat sich ziemlich verändert. Schön war er ja noch nie, aber nun zieht sich eine tiefrote Narbe von einem Auge bis zu einer kahlen Stelle am Kopf.
Mein Blick war ihm nicht entgangen. »Gefällt sie dir?«
»Was wollen Sie?«, frage ich, um Zeit zu gewinnen. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass er sich ja an nichts erinnert. Jedenfalls hat man sich das in Amys Arztpraxis erzählt. Durch den Unfall hat er sein Gedächtnis verloren und weiß nicht, wer ihn so zugerichtet hat. Oder bringt mein Anblick alle Erinnerungen zurück?
Wieder fährt ein Wagen vorbei.
»Das weißt du doch.«
Instinktiv will ich die Flucht ergreifen. »Sagen Sie es mir.«
Er hebt die Augenbrauen, und die eine, die mit der Narbe, sieht aus, als teile sie sich in der Mitte. »Nur so viel: Sei immer auf der Hut, Schätzchen, denn eines Tages werde ich dich irgendwo allein erwischen.«
Als Wayne mir zuzwinkert, fällt mir auf, dass er ein künstliches Auge hat, das in die falsche Richtung starrt.
»Wir sehen uns«, sagt er und geht zu seinem Van. Er steigt ein, lässt den Motor an und braust davon. Bevor er um die Ecke verschwindet, hupt er noch zweimal.
Meine Knie zittern so sehr, dass ich mich an einen Baum lehnen muss. Ich betrachte meine Hände, die so viel Schaden angerichtet haben. In einer Gefahrensituation hat sich Nicos Training bewährt. Natürlich war es Notwehr, dennoch sehe ich nichts als Blut vor mir. Waynes Kopf in einer Blutlache. Mir wird schon wieder schlecht.
Und ob Wayne sich erinnert. Er weiß, dass ich es war, trotzdem hat er den Lordern nichts gesagt, weil er die Rechnung selbst begleichen will.
Schaudernd mache ich mich auf den Weg, verfalle allmählich wieder ins Joggen. Und mal ganz ehrlich, Wayne ist zwar Furcht einflößend, aber er ist nicht die finsterste Gestalt, die mir im Nacken sitzt. Ich sollte wohl besser wachsam bleiben und darauf achten, mir den Rücken freizuhalten.
Die helle Beleuchtung des Raums und die strahlenden Gesichter der Gruppenteilnehmer können die Kälte nicht vertreiben. Als mich Mum nach dem Treffen abholt, bibbere ich noch immer.
»Habe ich dir nicht gesagt, dass es zu
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