Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
aus dir rausbekommen. Die haben ihre Methoden. Dann hättest du uns alle mit reingerissen.«
Etwas in mir verändert, verhärtet sich. »Die Lorder haben mir Ben schon einmal weggenommen. Nun haben sie es wieder getan. Ben gibt es nicht mehr. Jetzt ist Schluss. Mir reicht es. Ich bin zu allem bereit.«
»Dir scheint es ja ernst zu sein. War das jetzt der Auslöser?«
»Wie meinst du das?«
»Na, der Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt? An dem du zu allem bereit bist.«
Auf einmal sehe ich vieles mit anderen Augen. Emilys Ring, der nun in irgendeinem Baum hängt, hat eigentlich schon gereicht. Und jetzt auch noch Ben. Ja, für mich gibt es wirklich kein Zurück mehr. »Was war denn bei dir der Auslöser?«
Katran nimmt meine Hand und führt sie zu der Narbe an seiner Wange und stößt mich dann weg.
»Erinnerst du dich nicht mehr daran? Als ich zehn war, ist meine ältere Schwester verschwunden. Untergetaucht. Sie war in Schwierigkeiten geraten, nichts Gravierendes, aber du kennst ja die Lorder.«
Auf einmal greift Katran mich von hinten und drückt mir fast die Kehle zu. »Ein Lorder hat mich so festgehalten«, flüstert er. »Wir waren gerade an unserem Bootshaus. Dann hat er sich das Tauchmesser meines Vaters geschnappt und mir die Wange aufgeschlitzt.« Mit dem Finger fährt er mir übers Gesicht, zeichnet den Verlauf seiner Narbe nach. »An dieser Stelle habe ich ihm gesagt, wo sie sich versteckt hält. Wir haben sie nie wiedergesehen.«
Er stößt mich weg. Das Tauchmesser war ein Katran. Diesen Namen hat er sich gegeben, damit er es nie vergisst. Das Messer trägt er immer bei sich. Plötzlich weiß ich es wieder.
Ich halte mir die Wange. Auch wenn er mir nicht wehgetan hat, spüre ich noch den Druck seines Fingers. Entsetzt sehe ich ihn an. »Das war doch nicht deine Schuld. Du warst noch ein Kind!«
»Mag sein. Aber deshalb würde ich eher sterben, als wieder jemanden zu verraten. Ich werde Nico nichts von deiner Aktion heute erzählen. Und Tori erfährt auch nichts von Ben. Jetzt geh. Bevor dich zu Hause noch jemand vermisst.«
»Katran?«
»Ja?«
»Danke.«
Er sieht mir ins Gesicht. »Ich akzeptiere deinen Wunsch, zu uns zu gehören. Aber du musst deine Grenzen kennen.«
»Was meinst du damit?«
Katran schüttelt den Kopf. »Darüber reden wir ein anderes Mal.« Nach kurzem Zögern streicht er mir übers Gesicht »Das mit Ben tut mir leid.«
Als ich in unsere Straße biege, ist es schon fast Zeit, mich für die Schule fertig zu machen. Zu spät, um heimlich durch die Hintertür hineinzuschleichen, zum Glück habe ich für alle Fälle noch eine Nachricht hinterlassen: Bin laufen.
Deshalb brauche ich auch nicht leise zu sein.
Ich komme durch die Vordertür. »Hallo, ich bin zurück«, rufe ich.
Mum steckt den Kopf aus der Küchentür, als ich mir gerade die Schuhe aufbinde.
»War es heute Morgen nicht ein bisschen kalt zum Joggen?«
»Fürs Laufen ist die Kälte ideal«, sage ich und versuche, fröhlich zu klingen, was mir aber nicht so recht gelingen will.
Ich pfeffere die Schuhe in den Schrank, Mum folgt mir in den Flur.
»Was ist los?«, fragt sie und sie sieht aufrichtig besorgt aus. Jedenfalls möchte ich das gerne glauben. Möchte mich in ihre Arme werfen und ihr von Ben erzählen. Doch das geht nicht. Andererseits kann ich das Offensichtliche nicht leugnen. Meine Augen sind rot verweint.
»Ich muss immerzu an Ben denken. Ich konnte nicht mehr schlafen, deshalb bin ich laufen gegangen.«
Sie legt mir die Hand auf die Schulter und drückt sie. Schiebt mich zur Treppe. »Geh nach oben und stell dich unter die heiße Dusche. Ich glaube, heute Morgen kannst du ein warmes Frühstück vertragen.«
Seit jenem Morgen ist die Welt in eisige Kälte getaucht, tagsüber liegen die Temperaturen bei null Grad und nachts friert es. Und dann die Sache mit Ben. In der Schule, zu Hause und auch sonst bin ich eigentlich nur körperlich anwesend, innerlich bin ich tot. Manchmal starre ich aus dem Fenster, minutenlang, und wenn ich wieder aufschaue, sind Stunden vergangen. Sogar den Aufsatz über Shakespeare habe ich gemacht, nur um auf andere Gedanken zu kommen. Ziemlich armselig, aber wenigstens bekomme ich so keinen Ärger. Jedenfalls solange ihn niemand liest, denn er ist echt mies geworden. Aber bis dahin haben Nico oder Coulson vielleicht schon dafür gesorgt, dass meine Englischhausaufgaben unwichtig geworden sind.
Und heute Abend ist Gruppe.
Laufen tut mir immer gut, dann fühle ich
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