Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
versprochen, sich zu melden, sobald er eine Möglichkeit gefunden hat, wie ich Ben gefahrlos sehen kann, aber das kann nicht mehr warten.
Ich kann nicht mehr warten.
Das mit Raureif überzogene Gras glänzt im Mondlicht. Zitternd, halb vor Kälte, halb vor Aufregung, stehle ich mich durch das schlafende Dorf bis zum Wald. Hoffentlich habe ich mit meiner Vermutung recht und Ben ist tatsächlich da. Vielleicht ist es ihm um diese Jahreszeit auch zu kalt oder zu dunkel, um schon so früh zu trainieren.
Am Motorrad angelangt, wünschte ich, ich hätte an Handschuhe gedacht. Von der Kälte sind meine Hände klamm und ich habe im Dunkeln Probleme mit der Abdeckung. Als ich das Motorrad endlich aus dem Versteck gezogen habe, nehme ich den Weg am Kanal entlang.
Sobald ich die vertraute Umgebung hinter mir gelassen habe, folge ich der Route, die ich mir auf der Karte eingeprägt habe. Ich bin unkonzentriert, weil ich immerzu an Ben denke. Hin und wieder muss ich die Taschenlampe einschalten, um in der Dunkelheit nicht vom Weg abzukommen.
Irgendwann halte ich an und hole Emilys Ring aus der Hosentasche. Ich kann ihn unmöglich behalten, viel zu riskant. Was, wenn jemand den Ring bei mir findet? Ich küsse ihn und will ihn in den Kanal werfen, damit er im tiefen Schlamm versinkt. Aber ich bringe es nicht übers Herz. Stattdessen klettere ich auf einen Baum und stülpe den Ring über einen Ast. Ich merke mir die Stelle, den Knick im Kanal. Eines Tages hole ich mir den Ring wieder.
Nachdem ich ein weiteres Stück zurückgelegt habe, überkommt mich ein mulmiges Gefühl. Irgendetwas stimmt hier nicht. Hinter mir in der Ferne nehme ich ein Geräusch wahr, noch ist es zu weit weg. Aber es klingt sehr nach einem Motorrad.
Ich halte an und schiebe meine Maschine tief ins Gebüsch, verstohlen schleiche ich zurück und halte mich verborgen am Wegrand und …
Da.
Eine Gestalt auf einem Motorrad. Am Lenkrad blitzt der Peilsender auf, offenbar bewegt sich das Zielobjekt gerade nicht. Auf dem Gesicht des Bikers spiegelt sich Unschlüssigkeit. Soll er in sicherer Distanz bleiben oder nachsehen, warum es angehalten hat?
Ich trete vor Katran.
Er fährt zusammen. Für einen Augenblick sieht er schuldbewusst aus.
»Hi«, sage ich.
»Hi.«
»Willst du mir sagen, was los ist, oder soll ich raten?« Katran zuckt die Achseln, antwortet aber nicht. »Am Motorrad ist ein Peilsender und du spionierst mir nach.«
Katran wird so rot, dass es selbst in diesem Licht auffällt.
»Ja, am Motorrad ist ein Peilsender. Aber nicht so, wie du denkst. Die haben alle Sender, aus Sicherheitsgründen.«
»Aber meinen überwachst du?«
»Nicos Anweisung.«
Als der Name fällt, bekomme ich sofort Angst. »Weiß er davon?«
»Noch nicht. Wo willst du überhaupt hin?«
Ich schweige.
»Egal, was du vorhast, ich komme mit.«
Ich stapfe zurück ins Gebüsch. Vielleicht kann ich das Motorrad ja kurz vor dem Ziel zurücklassen und mich so davonmachen. Oder ich werde den Peilsender irgendwie los.
Aber nun, da Katran enttarnt wurde, weicht er nicht von meiner Seite.
Bei meinem Motorrad drehe ich mich zu ihm um. »Bitte, folg mir nicht länger. Wenn es sein muss, warte hier auf mich. Es dauert auch nicht lange und dann können wir gemeinsam zurückfahren.«
»Nein.«
»Ich brauche keinen Babysitter!«
»O doch.«
Nun bleibt mir nichts anderes übrig, als ihn einzuweihen. »Du hast doch gesagt, ich soll nicht vergessen, wer ich mal gewesen bin. Und mich nicht gegen die Erinnerungen sperren.« Katran hört geduldig zu. »Ich will zu Ben.«
»Was? Der Typ, von dem Tori die ganze Zeit quasselt?«
»Sie kennt nur die halbe Wahrheit. Ben und ich standen uns … nah.«
»Aber der ist doch tot.«
Ich schüttele den Kopf. »Er lebt und ich werde zu ihm gehen.«
»Hat er sich bei dir gemeldet?«
»Nein. Ben weiß nicht, dass ich komme. Vielleicht ist er heute auch gar nicht da; ich habe da nur so eine Ahnung.«
»Wie hast du …«
»Frag nicht, wie ich ihn gefunden habe. Das werde ich dir nicht erzählen. Aber jetzt kapierst du vielleicht, warum du nicht mitkommen kannst.«
In Katrans Gesicht spiegeln sich die unterschiedlichsten Gefühle; er wirkt besorgt, gekränkt und wütend zugleich. Ohne groß nachzudenken, lege ich ihm die Hand auf den Arm. »Alles okay?«
»Nein.« Er fährt sich durchs Haar. »Ich folge dir, halte mich aber im Hintergrund. Sollte was schiefgehen, bin ich gleich zur Stelle. Mehr kann ich dir nicht anbieten. Bist du
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