Zersplittertes Herz
seitdem erwachsen geworden.« Und das bin ich wirklich. Zu dumm, dass ich es auf die harte Tour lernen musste.
Ich belade meinen Teller und setze mich zwischen Hanna und Lizzy. Meine jüngste Schwester lässt sich im Stuhl gegenüber von mir nieder, ihr Teller quillt über vor Gemüse und Sandwiches.
Mom räuspert sich. »Kleinere Portionen, Abby«, sagt sie leise.
»Sie wächst noch«, protestiere ich.
»Ich versuche nur, ihr den Herzschmerz zu ersparen, den Übergewicht mit sich bringt.«
Hanna zuckt neben mir zusammen.
Ich stehe auf.
»Wo gehst du
jetzt
schon wieder hin, Maggie?«
»Ich brauche eine Zigarette«, sage ich, obwohl ich Rauchen widerlich finde. Ich betrete die Terrasse und schließe die Augen. Das Geräusch des rauschenden Flusses jenseits des Gartens beruhigt mich, und ich lasse mich auf die Stufen sinken.
»Bist du okay, Maggie?«
Claudia Bauer schließt die Tür hinter sich, nachdem sie die Terrasse betreten hat. Allein ihr Anblick lässt Schuldgefühle in mir aufsteigen. Meine Mom scheint Claudia unter ihre Fittiche genommen zu haben, und seitdem ich nach Hause gekommen bin, scheint es ganz so, als wäre sie genauso oft im Haus, wie ich.
Die Frau ist eine klassische Geldadel-Schönheit. Hohe Wangenknochen, fein geschwungene Augenbrauen und eine kerzengerade Nase. Claudia bleicht ihr Haar stets platinblond und trägt es kinnlang. Zweikarätige Diamanten glitzern an ihren Ohren.
Weiß Claudia, dass ihr Mann diese Ohrringe für seine Mätresse gekauft hat?
»Ich bin okay«, lüge ich. Ich bin nicht okay. Ich will nicht hier sein, und ich will nicht so tun, als wäre ich eine gute Tochter. Ich will nicht dabei zusehen, wie meine kleine Schwester mit denselben unrealistischen Erwartungen aufwächst wie ich, und ich will nicht weiterhin meiner Vergangenheit ausweichen.
»Nein, bist du nicht.« Claudia lässt sich neben mir nieder. Als ich noch ein ungelenker Teenager war, habe ich die Grazie von Frauen wie Claudia beneidet. Als eingebildete Collegestudentin habe ich endlich akzeptiert, dass ich niemals so sein werde.
Claudia seufzt. »Ich habe immer gewusst, wenn du nicht okay warst, Liebes. Du kannst alle anderen täuschen, aber ich habe dich durchschaut.«
Ich drehe mich zu ihr um. »Hast du das?« Obwohl, es ist im Bereich des Möglichen. Wie Ethan, ihr Kunstprofessor von Ehemann, ist Claudia Künstlerin, und meine Mom hat mich als Teenager für Unterrichtsstunden zu ihrem Atelier geschickt. Sie hat immer auf mich aufgepasst. Dann, als ich an der Sinclair angefangen habe und mit Lizzy und Hanna in ein kleines Mietshaus gezogen bin, hat Claudia auf uns alle aufgepasst.
Auf eine wundervolle Weise, habe ich es geschafft, ihr dafür zu danken … Mein Magen scheint sich unter dem Gewicht meines Selbsthasses zu spalten.
»Ja.« Claudias rosa geschminkte Lippen kräuseln sich zu einem Lächeln. »Du warst immer so taff. Es ist nie jemandem in den Sinn gekommen, dass du genauso unsicher warst, wie die anderen Collegemädchen und deine Schwestern. Ich konnte immer erkennen, wenn du traurig warst. Du bist aus dem Atelier gestürmt, weil du dich um Hanna gesorgt oder du es dir zur Aufgabe gemacht hast, Lizzy davor zu bewahren, durchzufallen, weil sie sich wieder auf einer Party betrunken hatte.«
»Also willst du sagen, dass ich
immer
aufgeregt war?«, sage ich in einem Versuch, lustig zu sein.
»Ich sage«, beginnt Claudia und dreht das Kreuz, das um ihren Hals liegt, »dass du die Leute nicht so gut täuschen kannst, wie du denkst.« Sie lächelt süß. »Jetzt gehe ich wieder nach drinnen. Ich hoffe, du setzt dich wieder zu uns, nachdem du deine Zigarette fertig geraucht hast.«
»Danke«, murmle ich und wünsche mir plötzlich, dass ich wirklich rauchen würde und so meine Rückkehr verzögern könnte.
Als ich mich ihnen wieder anschließe, quatscht Claudia in einer Ecke mit meiner Mutter, und ein kleiner Schauer läuft mir von den Zehen bis hoch zur Wirbelsäule.
Als ich fünfzehn war, bin ich bei meinem Vater in Ungnade gefallen. Er hat mir oft gesagt, dass ich eine Dirne sei, die der Teufel ausgesandt hätte, um Männer zu zerstören. Er hat das nie zu meinen Schwestern gesagt und nie angenommen, dass sie etwas anderes wären, als unschuldig. Ich war in dieser Hinsicht etwas Besonderes. Natürlich habe ich ihm all die Beweise geliefert, die er gebraucht hat.
Das letzte Jahr hindurch habe ich mich gefragt, ob er wusste, was aus mir werden würde. Was ich tun würde. Oder ob ich zu
Weitere Kostenlose Bücher