Zerstörter Traum vom Ruhm
verbliebenen 77 Briefe. Er kam sich wie ein Strandräuber vor, der im Schutze der Nacht aus dem Treibholz die besten Balken stehlen will.
»Es ist hundsgemein, Franz, mit der Sehnsucht dieser Frauen zu spielen«, sagte er laut und trank einen Schluck Zitronensprudel. »Jede von den 79 Frauen hat einen guten Mann verdient – nur nicht dich, du Kanaille!«
Drei Stunden lang las er Brief um Brief. Wieviel Vertrauen lag in allen diesen Zeilen, mit wieviel Hoffnung waren sie geschrieben worden – und er saß hier unter einer Tischlampe und sortierte wie ein routinierter Mädchenhändler die ›Ware‹ aus – zu dick – zu dünn – zu alt – zu wenig Geld – zu wenig Geld – zu wenig …
Von 79 hoffenden Frauen blieben am Ende drei übrig. Klein und fast schamhaft lagen ihre Briefe neben dem hohen Stapel der aussortierten.
Erna Vorwerck. Sekretärin im Auswärtigen Amt in Bonn.
Martina Schneewind, Lehrerin in Hamburg.
Carola Pfindt, Buchhändlerin in Fulda.
Drei nette, hübsche Mädchen mit einer Haarfarbenskala vom hellen Blond bis zum feurigen Rot.
Franz Schuster legte die drei Bilder nebeneinander auf den Tisch. Die Mädchen lächelten ihn an, er lächelte zurück und neigte ein wenig den Kopf zum Gruße.
»Meine Damen«, sagte er leise, »ich begrüße Sie als Auserwählte des Schriftstellers Franz v. Poltecky. Sie wissen noch nicht, was ich von Ihnen will, was Ihnen mit mir alles bevorsteht, welche blauen Wunder Sie mit mir noch erleben werden – aber trotz Ihrer Unwissenheit sage ich jetzt schon zu Ihnen: Ich bedauere Sie aufrichtig!«
Dann trank er ein Glas Zitronensprudel, weil er spürte, wie seine Kehle trocken wurde.
Keine Reue, Franz, dachte er. Bloß keine Skrupel! Es geht um deine Zukunft, und wenn alles gutgeht, wird diese Zukunft auch das Glück des Mädchens sein, das du heiraten wirst.
Ein Schriftsteller kann Briefe schreiben. Es wäre traurig, wenn ihm das nicht gelänge. Und so trafen in Fulda, Hamburg und Bonn Briefe ein, die mit den Worten begannen:
»Es gibt Augenblicke im Leben, in denen man eine schicksalhafte Entscheidung fast körperlich fühlt …«
und die mit dem Satz endeten:
»Verweigern Sie bitte nicht ein persönliches Kennenlernen und sprechen Sie erst dann Ihr gestrenges Urteil über Ihren – noch unbekannten Franz v. Poltecky.«
Die Antworten kamen schnell, wie er sie erwartet hatte. Zuerst der Brief aus Bad Godesberg, Amalien-Allee 17. Erna Vorwerck.
Einen Tag später schrieben die beiden anderen Mädchen. Martina Schneewind, die Lehrerin aus Hamburg, meinte nüchtern, er könne ja kommen, denn nach der Physiognomie-Theorie des Cesare Lombroso sei der persönliche Eindruck immer von Nutzen.
Franz Schuster beschloß, Hamburg zuletzt zu besuchen. Außerdem lag Bad Godesberg näher an Köln. Er kannte es von Fahrten zum Siebengebirge, zum Drachenfels und nach Honnef.
Herr Drogist Meyer war erstaunt, als Franz Schuster zu ihm in das Büro kam und um einen achttägigen Urlaub bat.
»Ich brauche ihn zur Regelung von Familienangelegenheiten.«
»Familie? Ich denke, Sie haben keine Familie mehr?«
»Ab und zu taucht doch jemand auf. In Hamburg und in Fulda.«
»Gleich zwei Verwandte!«
»Verwandte treten immer rudelweise auf.« Franz Schuster lächelte verzeihend. »Sie sind wie Wölfe, Herr Meyer!«
»Köstlich!« Herr Meyer hatte Sinn für Humor. Er klopfte Franz Schuster auf die Schulter. »Ist ein Erbonkel darunter?«
»Leider nein.«
»Und was macht Ihr Film?«
»Der hat sich an 14.000 Mark aufgehangen!«
»Besser er als Sie! Ich hatte von Beginn an einen komischen Geschmack im Mund, als ich den Brief las. Entweder haben die Leute vom Film Geld und drehen, oder sie haben keines und lassen das Drehen! Was dazwischenliegt, ist faul. Trotz goldenem Briefkopf.«
Franz Schuster sah keine Veranlassung, den ahnungslosen Herrn Meyer über die veränderte Situation aufzuklären. Daß die Astoria-Film wieder geschrieben hatte und voll Begeisterung über die Idee Franz v. Polteckys war, unterschlug er allen, die bisher teilgenommen hatten an seinem schriftstellerischen Wirken. Was verstanden sie schon davon? Es waren Krämerseelen, denen der Höhenflug der Gedanken und das künstlerische Wagnis völlig fehlten, die nur nüchtern in Zahlen und Grammeinteilungen dachten und zwischen Hustenbonbons und Reinigungsspiritus lebten.
Am Sonntag zog Franz v. Poltecky – so wollen wir Franz Schuster auf seinem ferneren Lebensweg nur noch nennen – seinen besten Anzug
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